Vor Ort · In der Freikirche
Wie die Freikirche meine Sehnsucht nach Liturgie neu weckte
von Irmgard Langhans · 13.03.2020
Seit einigen Monaten besuche ich am Sonntagabend häufig eine große Freikirche in München. Da ich katholisch aufgewachsen bin, waren die Gottesdienste dort für mich anfangs eine neue und ungewohnte Erfahrung. Was ich daran aber liebe, ist die wiederbelebende und bewegende Atmosphäre. Die ansteckende Leidenschaft der Pastoren und Mitarbeiter reißt mich immer wieder mit nach oben gen Ziel Himmel.
Und trotzdem. Wirklich heimkommen, diese Erfahrung mache ich vor allem in katholischen Kirchen und Gemeinschaften. Liturgie und Sakramente – alt, bedeutungslos und aus den Jahren gekommen? Für mich steckt dahinter tiefe Bedeutung und eine wiedergefundene Wahrheit. Ich liebe die Verschiedenartigkeit und Fülle geistlicher Angebote in einer Großstadt. Allerdings ist mir dadurch auch bewusst geworden, in welchen Glaubensformen ich mich Gott am nächsten fühle. Mir geht es dabei nicht um einen Vergleich, welche Konfession „heiliger“ macht oder einen näher zu Gott bringt. Ich möchte einzig und allein Zeugnis darüber geben, welche Spiritualität mir persönlich am besten hilft, tiefer zu glauben und anzukommen.
Liturgie bedeutet für mich Freiheit und Fokus
In der Kirche kann ich mich für Gottes Gegenwart öffnen. Mein Alltag ist oft laut, stressig und herausfordernd. Mir fällt immer wieder auf, dass die Liturgie mir hilft, mein Herz aus Unruhe und Stress in eine tiefe Ruhe zu führen. Darum zieht es ich seit einiger Zeit immer mehr hin zur Liturgie und eucharistischen Anbetung. Der Grund? Dort empfinde ich das starke Gefühl von Heimat und es gelingt mir viel mehr, mich auf Gottes Nähe einzulassen.
Die festen Strukturen der Gottesdienstfeier bedeuten für mich Freiheit und Fokus. Durch den festgelegten und bekannten Ablauf kann ich mich leichter auf Gott ausrichten, losgelöst von ständigen Überlegungen zum nächsten Programmpunkt oder von Ablenkungen durch Überraschungsmomente. Ich weiß sowieso was als nächstes kommt und muss mir darüber keine Gedanken mehr machen. Die Liturgie hilft mir, mich willentlich und bewusst für Gott zu entscheiden und mich auf das Wesentliche zu fokussieren. Chaotischer Alltag versus strukturierte Liturgie, Lautstärke in meiner Alltagsumgebung versus Stille in der eucharistischen Anbetung. Diese Gegensätze highlighten meine neu gewonnene Sehnsucht nach Liturgie und Anbetung. Denn das Ergebnis sind tiefe Ruhe und innerer Frieden in meinem Herzen. Plus, ich habe wieder gelernt, Weihrauch, festliche Gewänder und golden-prunkvoll gestaltete Altarräume wertzuschätzen. Sie erleichtern es mir, in eine Haltung der Anbetung und Ehrfurcht zu kommen.
Belong – believe – behave
Und dann wären da ja noch die Sakramente. Sind das nur Riten, welche vor 2000 Jahren eingeführt wurden und somit in der heutigen Zeit keine Beachtung mehr finden? No way! Ich bin tatsächlich fest davon überzeugt, dass Sakramente sichtbare Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit und der verborgenen Heilswirklichkeit der Liebe Gottes sind. Erst vor ein paar Wochen hatte ich wieder eine sehr bewegende Beichte. Auf meinem Herzen lag davor eine bedrückende Schwere, die durch das Sakrament spürbar aufgebrochen und in dankbare Leichtigkeit eingetauscht wurde. Was für ein unglaubliches Geschenk, das wir immer wieder in Anspruch nehmen dürfen.
Eine Freundin sagte neulich zu mir: „In Canada wurde die leerstehende Kirche in meinem Wohnort zu einer Bibliothek umfunktioniert. Ich fände das auch für Deutschland eine geniale Idee. Die schönen Gebäude müssen ja nicht leer stehen. Aber ich weiß schon, du hast darüber wahrscheinlich eine andere Meinung.“ Sie hatte Recht behalten. Denn Kirche bedeutet für mich Heimat. Zuhause sein mit Gott. Ankommen. Heimgeliebt sein. Belong – believe – behave.