Vor Ort · Mit leichtem Gepäck in die Mission
Verkaufe alles und folge mir nach!
von Raphael Schadt · 11.09.2023
Credo: Ihr seid ja keine Ärzte oder Entwicklungshelfer. Was machst man als Laie bei einer Missionsgesellschaft?
Dominik: Jede Organisationen hat ihr Kernanliegen oder Charisma. Das Kernanliegen der Organisation, mit der wir in den USA waren, war die Erneuerung des persönlichen Glaubens, also nicht primär humanitäre Hilfe.
Tabea: Eben das, was man Neuevangelisierung nennt – keine Erstverkündigung. Wir haben in unterschiedlichen Bereichen mitgearbeitet: In der kirchlichen Jugendarbeit, Firmvorbereitung, Jugendwochenenden oder bei Einkehrtagen für High Schools. Wir haben in Koop mit der Erzdiözese Portland Ehevorbereitungskurse aufgebaut, Studenten gecoacht, die anschließend mit einem Kinderprogramm durch die Diözese tourten. Gegen Ende haben wir uns in der Ortsgemeinde im Bereich Gemeindeentwicklung engagiert.
Credo: Was hat euch dazu bewogen, Sicherheiten, Bequemlichkeiten und gut bezahlte Jobs loszulassen und diesen Weg zu gehen?
Dominik: Im Kern haben wir in uns einen Ruf gespürt. Schon relativ früh, unabhängig voneinander. Wir haben beide nach dem Abitur – wir kannten uns damals noch lange nicht – ein halbes Jahr mit einer solchen Organisation eine Jüngerschaftsschule gemacht.
Tabea: Als wir zusammenkamen, war eines unserer ersten Gespräche so „Hey, ich würde gerne mal als Missionar leben”. „Ja, ich auch.” Das hat uns von Anfang an in unserer Beziehung begleitet und kam immer wieder hoch: „Ist es jetzt dran?” Als wir in der Schweiz lebten und am meisten Geld verdienten – wir waren gerade in eine total coole Wohnung eingezogen – da kam plötzlich das Gefühl, wir müssen wieder raus aus dieser Sicherheit.
Ab 2015 hat sich der Plan entwickelt. Wir haben uns umgehört, viel geredet. Es war keine Nacht- und Nebelaktion, sondern es waren Jahre der Prüfung und der geistlichen Begleitung. 2016 machten wir einen Testlauf von drei Monaten während der Elternzeit von unserem zweiten Kind. Ostern 2017 haben wir entschieden zu gehen. Bis alle Formalitäten erledigt waren, von Visum bis Arbeitsvertrag, ging es aber noch sehr lange. Wir fingen jedenfalls schon einmal an, unsere Sachen zu verkaufen und wegzugeben.
Credo: Das schöne schwedische Studentenmobiliar …
Tabea: Naja, wir hatten uns schon einige sehr schöne Möbel gekauft und uns vorgestellt, wie wir da noch als Oma und Opa mit den Enkeln sitzen. Die ersten Gedanken waren schon: Wie organisieren wir es, dass es nicht so weh tut? Vielleicht stellen wir es erst einmal unter? Aber wir spürten auch, Gott sagt: Nee. Einfach verkaufen oder sogar verschenken!
Dominik: Am Ende ging es nicht mehr darum, möglichst viel Geld durch den Verkauf zu machen, sondern die entscheidende Frage war: Unser Flug geht an Tag X, bis dahin muss die Wohnung leer sein!
Tabea: Und die Kinder zu überreden: „Hey, was sind Dinge, die dir wirklich wichtig sind?” Die Hochzeitsgeschenke … Wir mussten am Ende alles raushauen. Bis auf das, was in sieben Koffer passte.
Dominik: Wenn du dir ausgemalt hast, 50 Jahre an diesem Tisch zu sitzen und der wird abgeholt von jemandem, den du nicht kennst, keine Ahnung, was damit passiert. Diese Freiheit, das gehen zu lassen ohne zu verbittern – wir bezeichnen das als Gnade! Da ist mit der Zeit eine große Freiheit gewachsen.
Credo: Das Ganze hat dann nicht so geklappt, wie ihr es euch vorgestellt hattet und ihr musstet kaum zwei Jahre später wieder zurück nach Deutschland. Mit Details und Gründen seid ihr diskret, was euch m.E. sehr ehrt. Jedenfalls musstet ihr dann im Corona Chaos, mit Quarantäne eine neue Wohnung suchen, von null auf einrichten und Jobs suchen. Kratzt das nicht am Glauben?
Tabea: Es war schon eine krasse Phase, schon wieder alles aufgeben zu müssen. Aber wir hatten nie das Gefühl: „Hätten wir es besser nicht gemacht.” – an keinem Tag. Diese Entscheidung war ja über Jahre gewachsen. Wir haben Frieden darüber.
Zudem haben wir trotz der schwierigen Rückkehr so viel Segen erlebt. Als zum Beispiel unser Rückflug coronabedingt abgesagt wurde und wir schnell einen 1000 € teureren nehmen mussten, hatte uns eine entfernte Bekannte aus heiterem Himmel 1000 € überwiesen, obwohl wir nicht mehr offiziell Missionare waren und von Spenden lebten. Der Segen ging weiter.
Credo: „Verkaufe, was du hast … und folge mir nach” oder „Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben. Sorgt euch also nicht …” heißt es im Evangelium. Bleibt diese Verheißung für euch lebbar, trotz dieses „Scheiterns“?
Dominik: Aber ja, absolut. Jetzt ist zwar diese Unternehmung in gewisser Weise gescheitert und wir mussten zurück. Aber wir haben zum einen niemals daran gezweifelt, ob wir richtig gehört hätten, und ob wir Gott noch vertrauen könnten, weil wir spürten, dass wir versorgt werden und sogar noch einen obendrauf: Dieser Lebensstil, sich senden zu lassen und eine Freiheit zu haben, das zu tun, wozu Gott einen in der Situation ruft, hat sich eigentlich in all dem Chaos und Durcheinander für uns sogar noch als erstrebenswert bestätigt.
Also die Tatsache, dass wir de facto zurückmussten, hat nichts geändert an dieser grundsätzlichen Lebensausrichtung, auf Gott zu hören, wohin er uns ruft. Schwierig war eher, diese Konfrontation zu spüren: Was habe ich mir selbst ausgemalt und wie ist es am Ende geworden? Aber an der Motivation, der Überzeugung oder letztlich an Gott mussten wir nie zweifeln.
Tabea: Es waren schon harte und tränenreiche Monate. Wir hätten zwar die Option gehabt, dort zu bleiben, außerhalb der Missionsorganisation. Wir hatten dort tolle Beziehungen geknüpft und eine super Zusammenarbeit mit der Erzdiözese Portland. Wir hätten Jobs und alles bekommen können.
Aber wir haben uns entschieden, wieder zu gehen, weil wir spürten, dass es nicht dran ist. Ich weiß auch noch, wie ich trotz der Tränen spürte, wenn Gott mich morgen ruft, woanders hin zu gehen, ich würde es wieder tun. Und wir spüren diesen Ruf weiterhin und leben das im Alltag. Vielleicht bleiben wir einfach hier, vielleicht gehen wir nochmal, diese Bereitschaft hat sich nicht verändert.
Credo: Was nehmt ihr davon mit?
Dominik: Wir haben uns danach vorgenommen: wir wollen nie mehr in unserem Leben so viel besitzen. Du musst dich ja um alles, was du hast, kümmern. Und der Moment, als alles weg war bis auf diese sieben Koffer, das war pure Freiheit.
Tabea: Das merken wir auch heute noch. Wir haben heute keine materielle Abhängigkeit mehr, wie ich sie früher gespürt habe. Möbel sind gut und dienen mir. Aber wenn es weg muss, dann ist es auch okay. Wenn wir keine Kinder hätten, dann wären wir noch sehr viel minimalistischer eingerichtet.
Credo: Wie lebt ihr diesen Ruf heute?
Dominik: In Neu-Ulm angekommen habe ich eine halbe Stelle bei der ‚Freiwilligendienste in der Diözese Rottenburg-Stuttgart gGmbH‘ angetreten, was mir sehr viel Freude macht. Und es bleibt noch Freiraum für andere missionarische Projekte.
Tabea: Ich bin als Religionslehrerin beim Bistum Augsburg eingestiegen. Der Schuldienst war ursprünglich nicht meine erste Wahl und war anfangs hart, aber ich habe gemerkt: Auch das ist ein Handlungsfeld und macht mir großen Spaß.