Vor Ort · Abhängigkeit oder Freiheit?
Partnersuche: Meine innere Stimme führt mich
von Sonja Heider · 09.01.2023
Seit der ersten Klasse gab es immer einen Jungen in meinem Leben, nachdem ich fast alles ausrichtete. Jedes Mal, wenn meine Gefühle nicht erwidert wurden oder wir keinen Kontakt mehr hatten, habe ich diesen Platz mit einem neuen Jungen oder Mann besetzt. Ich sah auch nie wirklich ein Problem darin, da ich so für jemanden auf besondere Weise da sein konnte. Ich sah, liebte und manchmal half ich ihm, wenn sonst niemand da zu sein schien. Er war die eine Person, für die ich alles gemacht hätte. Auch ich profitierte nebenbei davon, denn die Euphorie an der Person diente mir als Inspirationsquelle und gab mir gleichzeitig auch Orientierung, Motivation und Energie.
Wunsch nach Veränderung
Der Wunsch, daran etwas zu ändern, kam erst auf, als vor drei Jahren mein Glaube an Gott wieder mehr Raum in meinem Leben eingenommen hat. Ich war auf einem christlichen Jugendleiterkurs und auf einem Pfingstfestival in Salzburg. Ich habe erlebt, dass Menschen in meinem Alter ihren Glauben authentisch lebten. Daraufhin habe ich angefangen, wieder erste eigene Gebete zu sprechen. Nach und nach bemerkte ich jedoch, dass der Thron im Zentrum meines Lebens gar nicht frei für Gott war.
Loslassen und Aufarbeiten
Ich begriff damals, dass ich fälschlicherweise schon wieder jemanden zum Zentrum meines Lebens gemacht hatte. Ich nahm mir vor, dieses zum letzten Mal zu machen. Von dieser Erkenntnis war ich überwältigt und ich fühlte mich überfordert, weil ich nicht nur den liebgewonnenen Menschen zurücklassen würde, sondern auch einen großen Teil meiner bisherigen Motivation, meiner Identität und auch einen Teil meines Lebenssinns verlieren würde.
In den Semesterferien begann ich, die Zeit seit der ersten Klasse dahingehend aufzuarbeiten. Ich schrieb meine Liebe zu den verschiedenen Jungen und Männern auf, erinnerte mich an verstörende Tatsachen, aber genauso an schöne Erlebnisse. Jeder Junge bekam ein eigenes Kapitel in dem kleinen Buch.
Erkenntnis: Ich bin mit dem Thema nicht allein
Eine der wichtigsten Erkenntnisse in diesem Zeitraum war, dass ich mit meinen Emotionen und meinem Kampf nicht alleine war. Ich unterhielt mich mit einer Freundin und wusste, dass auch sie eine Person hatte, die ihr mal ähnlich wichtig war. Auch bei ihr gab es zuvor noch mehr Personen. Dadurch verpuffte mein Gefühl, mit dem spezifischen Thema allein zu sein. Das Beste war der hoffnungsvolle Ausblick, den ihr Beispiel mir gab: Sie hatte es inzwischen geschafft, es hinter sich zu lassen.
Rollenwechsel: Geliebt sein
Eine wichtige Erfahrung wartete im Spaziergang mit einem Freund. Ich dachte mir nichts Besonderes bei diesem Treffen und wurde von dem Mann sehr überrascht. Er teilte mir mit, dass er mehr als freundschaftliche Gefühle für mich empfand und eröffnete die Option einer Beziehung. Das Thema Beziehung hatte ich vor einiger Zeit Gott anvertraut. Ich glaubte daran, dass Gott mich kennt und mir zum richtigen Zeitpunkt genau das geben wird, was mir guttut. Jetzt war ich doch etwas irritiert und geschockt, wie schnell er mir eine Beziehung zutraute.
Ich wünschte mir, dass ich diese Gefühle des Freundes erwidern konnte. Es nicht zu können, tat mir in zweifacher Weise weh: Einerseits zu wissen, dass ich ihn mit der Antwort verletze. Ich konnte seine Situation zu gut nachempfinden. Andererseits war es das erste Mal, dass ein Mann mir mitteilte, dass er mich so mochte.
Nachdem ich mit ihm gesprochen und sich bei mir alles wieder normalisiert hatte, konnte ich mich über das Gefühl, auf diese Weise liebenswert zu sein, auch freuen.
Meine innere Stimme
Einen Tag nach dem Gespräch empfand ich das Bedürfnis, mich an diesem Tag noch auszupowern. Das war schon komisch, denn ich hatte das Jahr davor keine Lust auf Sport. Ich war irritiert. Dieser inneren Stimme Gehör zu schenken, erfüllte mich das erste Mal mit dem Gefühl, etwas ausschließlich meinetwegen, für mich, zu tun. Dabei gab es keinen einzigen Hintergedanken an einen Jungen oder eine unterbewusste Absicht, jemandem zu gefallen.
Natürlich stellt sich nun die Frage, ob diese innere Stimme Gottes Stimme ist oder ob es meine eigene ist, die Orientierung gibt. Ich weiß es nicht, vielleicht ist es auch nicht entscheidend. Solange die Stimme wertschätzend über mich und andere denkt und aufbauend ist, habe ich gelernt, dass ich meiner inneren Stimme einfach Raum geben will.
Um die Jungs teils auszublenden und Gott den richtigen Platz zu geben, hilft es mir auch, Zeit aktiv mit anderen Dingen zu planen, wie Zeit mit Gott, Freundinnen, Lesen, Kochen oder draußen neue Orte zu erkunden. Statt mich so in neue – zunächst toxische und einseitige – „Freundschaften“ zu begeben, kriegt nun der einzig Richtige heute langsam, aber sicher, seinen verdienten, rechtmäßigen Platz auf dem Thron. Denn Gott führt in eine echte und vollkommene Freiheit. Eine Freiheit, Sicherheit und Liebe, die ich so mit keinem Menschen haben werde.
Außerdem durfte ich vor allem im vergangenen Jahr erfahren, dass Gott mich heilen will, durch andere Menschen. Es ist nur wichtig, dass ich mich bei Freundinnen oder Seelsorgern öffne und ehrlich mit mir selbst bin. So konnte ich mit viel Geduld mit mir sogar mit manchen Männern, für die ich einst schwärmerische Gefühle hatte, endlich eine ehrliche Freundschaft beginnen.
Ich wünsche dir, dass du sowohl die Erfahrung machen darfst, lieben zu können, als auch geliebt zu werden.