Vor Ort · Echthaarperücken von Non-Profit-Vereinen
Haare runter, Hoffnung rauf
von Eva Fock · 21.07.2022
Schon als kleines Mädchen trug ich meine Haare lang und bekam für diese Haarpracht oft Aufmerksamkeit, Komplimente oder auch mal den Kommentar, dass ich sie doch abschneiden solle. Lange Haare bedeuten jedoch auch Arbeit und die ein oder andere Einschränkung. Bei einigen Friseurbesuchen war ich sehr nervös: kann man meine zerzausten Haare wieder entwirren oder ist heute der Tag gekommen, wo sie abgeschnitten werden müssen. Brachte jemand Läuse in den Umlauf, hatte ich davon deutlich länger was als der Rest meiner Familie. Doch was auch passierte, die langen Haare waren mein Erkennungsmerkmal, ich identifizierte mich mit ihnen und es gab Zeiten, da hätte ich mir nicht vorstellen können, sie abzuschneiden.
Als ich vor gut einem halben Jahr ein Video auf YouTube entdeckte, ändert sich jedoch etwas. Meine Haare könnten den Alltag eines Kindes oder Jugendlichen grundlegend verändern, wenn ich sie abschneiden ließe. Somit könnten meine Haare etwas wirklich Gutes tun. Die Gedanken an eine Haarspende waren durchgehend präsent und ich sprach mit meiner Familie sowie einer Freundin, die weiter weg wohnt. Die Freundin war durch das Video sehr inspiriert und wollte ihre eigenen Haare gerne spenden, die waren aber leider zu kurz. Für eine Haarspende müssen mindestens 30-40cm abgeschnitten werden können, im besten Fall noch mehr.
Schnipp, Schnapp – Haare ab?
Mein Vorhaben verfestigte sich immer mehr und ein anstehender Besuch der Freundin bot die perfekte Gelegenheit. Je näher der Besuchstag kam, desto mulmiger wurde mir. Würden mir kurze Haare stehen? Hätte ich weiterhin das gleiche Selbstbewusstsein bei einem Blick in den Spiegel? Würde ich die Kurhaarfrisur schlussendlich bereuen? Ich malte mir aus, dass ich beim Abschneiden emotional werden würde und weinen müsste. Nichts desto trotz war ich weiterhin fest dazu entschlossen. Und bis heute habe ich nicht eine Träne wegen meinen nun kurzen Haaren vergossen.
Als die Freundin zu Besuch war, entstand eine kleine Versammlung im Badezimmer meiner WG – alle wollten dabei sein. Ich band die Haare zu vier Zöpfen und machte den ersten Schnitt selbst, bevor meine Mitbewohnerin übernahm und mir eine ansehnliche Frisur verpasste. Gemeinsam ließen wir die abgeschnittenen 40 cm meiner Haare in einem Briefumschlag verschwinden. Und siehe da, ich sah anders aus – aber ich war immer noch ich selbst und fühlte mich wohl, auch wenn die kurzen Haare sehr ungewohnt waren. Das nahm ich gerne in Kauf, denn es fühlt sich richtig an, dass diese paar Haarbüschel im Briefumschlag in Kürze jemandem neue Hoffnung schenken.
Den Briefumschlag schickte ich an den österreichischen Verein Die Haarspender. Seit 2016 legt der Gründer Holger Thomas Müller Wert darauf, dass die Haarspende zu 100 Prozent verwendet wird, und der Empfänger die Perücke kostenlos sowie unabhängig von seiner Krankenkasse erhält. Somit kamen alle meine Haare einem Kind oder Jugendlichen zu Gute.
Warum eine Echthaarperücke?
Wieso ist eine Perücke so bereichernd? Kann man nicht einfach eine nehmen, die die Krankenkasse zahlt? Krankenversicherungen beteiligen sich mit einem Maximalbetrag von 380€ – die Kosten für eine Echthaarperücke liegen bei 1.000-3.000€. Eine Kunsthaarperücke ist von dem Versicherungszuschuss eher gedeckt. Allerdings ist der Tragekomfort hier ein großes Manko. Zudem erkennt man schon von weitem, dass es eine Perücke ist. Die Haare fühlen sich nicht gut an und stylen lassen sie sich schon mal gar nicht. Für Männer und Jungen übernimmt die Krankenkasse gar keine Kosten für eine Perücke, da der Haarausfall bei ihnen als „natürlicher Prozess“ gesehen wird.
Krebserkrankte in einer Chemotherapie oder Betroffene des Krankheitsbildes Alopecia areata leiden damit nicht nur unter der Krankheit und dem Haarausfall. Sie werden zusätzlich einer finanziellen Belastung ausgesetzt. Sie sehen anders aus, gefallen sich vielleicht weniger und können ihre veränderte Optik nicht gut annehmen, was wiederum das Selbstbewusstsein und das Sozialverhalten beeinflusst. Durch eine gespendete Perücke wird zumindest ein Teil dieser Belastung reduziert.
Die Arbeit von Die Haarspender
Die Perücken des österreichischen Non-Profit-Vereins werden durch einen erfahrenen Partner in Asien produziert, in 35 Arbeitstagen und bestmöglicher Qualität. Die Produktion ist allerdings nicht kostenlos, daher sind Geldspenden jeder Höhe immer willkommen. Eine Perücke entsteht aus vier Haarspenden und 360€ Geldspende.
Wer sich die Haare nicht selbst abschneiden und auf die Friseurkenntnisse einer Freundin vertrauen möchte, kann auch in einen Partnersalon von Die Haarspender gehen. Mittlerweile 200 Friseure in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Ungarn bieten ihre Dienste günstiger oder sogar kostenlos an., wenn die Haare gespendet werden. Zudem kann man Die Haarspender auf Events treffen oder selbst einladen und sich dort spontan die Haare schneiden lassen.
Du bist von krankheitsbedingtem Haarausfall betroffen und 4-19 Jahre alt? Dann kannst du dir bei Die Haarspender mit einem Onlineformular eine Perücke beantragen. Neben der Webseite ist der Verein ebenfalls auf Instagram zu finden.
Froh
Irgendwo sitzt gerade ein Kind oder Jugendlicher mit seinen Eltern vor dem Laptop und hofft, schon bald eine Echthaarperücke zu bekommen. Und ich kann mit einer kleinen Tat zur Erfüllung dieser Hoffnung beitragen. Das zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht und ich bereue die Entscheidung keinen Tag.