„Ich bin halt normal katholisch“ kommt häufig als Antwort, wenn man Pfarreimitglieder nach ihrem Glauben und ihrer Gottesbeziehung fragt. Doch meistens, wenn von Normalität die Rede ist, fügt sich die Frage an, was denn eigentlich normal ist. Die faktische Norm in unseren Diözesen und Pfarreien sei weitestgehend ein zurückhaltender Kulturkatholizismus, beschreibt Sherry Weddell ihre Erfahrungen, die sie überall in der westlichen Welt macht. Jüngerschaft spielt keine Rolle und unter den vielen Themen, die im kirchlichen Kontext besprochen werden, geht es in den seltensten Fällen um die persönliche Gottes- und Jesusbeziehung. Das führt dazu, dass diejenigen, die Jüngerschaft tatsächlich leben wollen, der Pfarrei den Rücken kehren und sich beispielsweise einer Freikirche anschließen oder kleine (Haus-)Gemeinschaften bilden.
„Kulturkatholizismus als Aufrechterhaltungsstrategie ist im 21. Jahrhundert tot, weil Gott keine Enkelkinder hat.“ (Sherry Weddell)
So weit, so ungut. Doch wie schon angedeutet, bleibt Weddell nicht bei diesen traurigen Aussichten stehen. Mit sieben Thesen, die sie für eine Pfarrei mit gelebter Jüngerschaft aufstellt, wirft sie erstaunliche Lichtblicke in Richtung eines florierenden Gemeindelebens.
- Echte Jünger pflegen eine lebendige und wachsende Liebesbeziehung mit Gott.
- Echte Jünger sind begeistert aktiv.
- Sie erweitern ihr Glaubenswissen in den Bereichen Glauben, Bibel, Kirchengeschichte und theologischer sowie moralischer Lehre der Kirche.
- Echte Jünger lernen ihre individuellen Gaben kennen und üben sie zum Dienst an der Gemeinschaft aus.
- Sie wissen um ihre individuelle Mission und Lebensberufung, suchen danach und leben sie.
- Echte Jünger leben in Gemeinschaft engagierter Katholiken, die motivieren, begleiten und zurechtweisen.
- Die Pfarreien befähigen und stärken ihre Mitglieder bewusst darin, die Punkte 1-6 umzusetzen.
Was Weddell unter „Echten Jüngern“ versteht, erklärt sie mit dem Verständnis und der Wirkung von Sakramenten. So sei es in vielen Pfarreien Tradition, die Sakramente einzusammeln als wären es Payback-Punkte. Das Motto scheint zu lauten: „Die Sakramente werden’s schon richten!“. Doch so funktioniere es nicht. Gnade ist keine Magie.
Fünf Schwellen der Bekehrung
Anstatt darauf zu warten, dass Gemeindemitglieder beim Sonntagsgottesdienst versehentlich die Heilsmittel der Sakramente mitnehmen, setzt Weddell auf missionarische Jünger. Jünger meint Menschen, die sich als Nachfolger Christi verstehen. Missionarische Jünger sind Menschen, die darüber hinaus in der Lage sind, andere in die Nachfolge zu führen und zu begleiten. Dabei ist es hilfreich, wenn sich diese missionarischen Jünger der sogenannten fünf Schwellen der Bekehrung bewusst sind, die – mehr oder weniger bewusst – jeder durchläuft, der sich entscheidet, Christus nachzufolgen. Mit dem Wissen um diese Schwellen, die für Menschen je nach Situation sehr hoch sein können, können missionarische Jünger den Prozess hin zu einer Christusbeziehung bzw. Christusnachfolge deutlich besser begleiten und unterstützen. Diese fünf Schwellen nennt sie 1. Vertrauen, 2. Neugier, 3. Offenheit, 4. Suche und 5. Entscheidung zur Nachfolge.
Grundvoraussetzung jeglicher missionarischen Aktivität ist das Vertrauen. Vertrauen ist die Brücke, über die Kommunikation erst möglich ist. Der Vertrauensverlust, den die Kirche als Institution aktuell erlebt, macht es nicht einfacher. Nur wer mir vertraut, dass ich ihn/sie nicht mit einem verdeckten Motiv gewinnen will, weil ich etwa etwas verkaufen will oder ihn für meine politisch-religiöse Agenda gewinnen will, wird mir sein Ohr leihen. Diese Brücke herzustellen, ist die erste Herausforderung eines missionarischen Jüngers und gleichzeitig die erste Schwelle oder Hürde, die jemand auf dem Weg zur Christusnachfolge nimmt.
Erst wenn ein Vertrauensverhältnis entstanden ist und mein Gegenüber bereit ist, mich zu hören, kann Neugier überhaupt erst entstehen. „Was ist so besonders an diesem Jesus?“, „Das mit der Kirche scheint ihm echt wichtig zu sein, dabei macht er doch eigentlich einen ganz intelligenten Eindruck.“ Hier ist es wichtig, mit dem „Predigen” sehr zurückhaltend zu sein und vor allem Fragen zu stellen, wie Christus es selbst getan hat: „Was nennst du mich gut, niemand ist gut außer Gott, oder?“ (vgl. Mk 10,18) oder „Du bist der Lehrer Israels und weisst das nicht?” (vgl. Joh 3,10)
Erst wenn eine wirkliche Neugier geweckt ist, kann diese eventuell zu einer Offenheit werden. Offenheit bedeutet hier, dass mein Gegenüber (das vielleicht mittlerweile zum Freund geworden ist) das, was er eben noch neugierig, aber unbeteiligt als „interessant” bezeichnet hätte, nun offen für sich und sein Leben in Betracht ziehen kann. „Jesus könnte etwas mit mir zu tun haben.“ „So gesehen, fängt das mit dem Evangelium an, Sinn zu machen.” Erst ab hier ist es sinnvoll, ausführlicher von Jesu Lehre, Leben, Tod und Auferstehung zu erzählen. Hier kann es auch sinnvoll sein, den Freund zu ermutigen, Gott um ein Zeichen zu bitten.
Wenn der Samen des Wortes in fruchtbaren Boden gefallen ist, beginnt hier eine geistliche Suche, ein ernstes Suchen und Fragen nach Christus, oft gepaart mit einer Sehnsucht, mit geistlichem Hunger. Diese Suche zeichnet sich durch Eigeninitiative aus. Der Freund fängt an, alles greifbare zu lesen und sich schlau zu machen. Es ist wie eine Prüfungszeit in einer Beziehung, gewissermaßen mit Jesus zu „daten“. Der Suchende beginnt, sich mit dem Thema Nachfolge und den damit verbunden Konsequenzen für das eigene Leben auseinanderzusetzen. Da die Konsequenzen je nach sozialem oder kulturellem Kontext sehr drastisch sein können, wird der Freund sehr wohl abwägen, was der Preis für diesen Schritt sein wird und ob er diesen gehen will.
Wenn die geistliche Suche tief genug durchlaufen wurde, kommt unausweichlich ein Punkt, an dem eine Entscheidung für oder gegen die Nachfolge gefällt wird. Man entscheidet sich bewusst für (oder gegen) die Beziehung zu Jesus. An dieser Stelle wird eine Form hilfreich sein, klassischerweise die Taufe oder für bereits getaufte Katholiken eine feierliche Tauferneuerung. Erst ausgehend von dieser Erfahrung entsteht letztendlich die Berufungsfrage, die in einen wachsenden und fruchtbaren kirchlichen Dienst führt.
Bewusst den Namen Jesus nennen
Um Menschen bei den fünf Schritten hin zur Christusnachfolge zu begleiten, empfiehlt Weddell den Pfarreien, „das Schweigen zu brechen“. Sie ermutigt Pfarreimitglieder und Verantwortliche dazu, offen über die Möglichkeit von persönlicher Gottesbeziehung zu sprechen, selbst von der eigenen konkreten Jesusbeziehung zu erzählen und dabei bewusst den Namen Jesu zu erwähnen. In diesem Zusammenhang helfe es auch, sich zur Gewohnheit zu machen, andere nach ihrer Gottesbeziehung zu fragen. Nicht zuletzt sollte aber auch die „Große Geschichte von Jesus“ im Sinne einer Erstverkündigung des Evangeliums als Fundament jeder Jesus-Beziehung erzählt werden.
Und das wichtigste, was Weddell Pfarreien mit auf den Weg gibt: Erwarte Bekehrungen und lege das geistliche Fundament, indem du mit Fürbitte für Bekehrungen und Umkehr eintrittst!
Das Buch „Echte Jünger ausbilden“ von Sherry Weddell (im engl. Original: „Forming Intentional Disciples“) aus dem D&D Medien-Verlag wird zum Studientag Neuevangelisierung am 8. Februar im Augsburger Haus Sankt Ulrich druckwarm präsentiert.