Thema · Why Pfarrei?

Wenn Gott sein Haus saniert – ein Interview mit James Mallon

„Aus Konsumenten Jünger machen – von einer bewahrenden zu einer missionarischen Kirchengemeinde.“ Ein Interview mit Father James Mallon, Bischofsvikar aus der Erzdiözese Halifax-Yarmouth (Kanada).
Das Interview fand auf der MEHR 2018 und im Kontext des Studientags vom Institut für Neuevangelisierung (Augsburg) statt. Das komplette Interview befindet sich als Text unter dem kurzen Interview-Clip. Wie man aus Gemeindemitgliedern Jünger Jesu macht, beschreibt Father James Mallon auch in seinem Buch „Wenn Gott sein Haus saniert“, erschienen bei D&D Medien.

von Raphael Schadt · 09.01.2019

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Credo: Wir Deutschen mögen ja Zahlen, und von ihrer Heimatgemeinde St. Benedict haben wir gehört, dass die Zahl an Gemeindemitgliedern nicht nur konstant bleibt, sondern sogar wächst. Wie ist dieses Wachstum möglich geworden?

Mallon: Eine der Fragen, die wir stellen ist: „Was genau messen wir?“ In der Regel zählen wir Gottesdienstbesucher, Taufen, Beerdigungen und vor allem Beitragszahler. Oder noch einfacher: Gottesdienstbesucher und die Kollekte. Die Wahrheit ist, dass – wie ich es gestern auf der MEHR-Konferenz gesagt habe – die Anzahl meiner Gemeindemitglieder in etwa die gleiche wie vor sieben Jahren ist. Allerdings waren 60 % der Gottesdienstbesucher vor sieben Jahren noch nicht da. Die Gemeinde war recht alt, und wir hatten 50 bis 60 Beerdigungen pro Jahr. Viele gingen zum Studieren weg. Dazu gab es viele Leute, die, als die Veränderungen begannen, sagten: „Wir wollen Kirche so nicht.“ „Sie predigen, eine Stunde pro Woche sei nicht genug.“ „Sie fordern uns ständig auf, uns einzubringen und zu dienen.“ „Die Messe dauert jetzt viel länger.“ „Was soll das Gerede von persönlicher Beziehung mit Jesus?“ Kurzum, viele sind gegangen.

Eine meiner Botschaften ist: Wenn du dich auf das Abenteuer einlässt, von einer Kirche des Selbsterhalts zu einer Kirche der Mission überzugehen, werden Leute gehen. Die Leute mögen keine Veränderungen. Viele Katholiken haben eine minimalistische Konsumenteneinstellung in der Kirche, nach dem Motto „Sag mir, was ich tun muss, dass ich in den Himmel komme, wenn ich sterbe, und ich werde das nötige Minimum dazu tun.“ Wie beim Einkaufen: billigster Preis bei minimalem Aufwand. Daher sind viele gegangen.
Deren Platz ist aber übernommen worden, von Menschen, die eine Bekehrung erlebt haben. Daher ist neben der Gottesdienstbesucherzahl folgende Frage die wichtigere: wie viele Jünger habe ich? Wir fragen an Pfingsten immer: „Wer von euch sagen kann, dass im vergangenen Jahr durch Jesus sein Leben verwandelt worden ist – komm nach vorn!“ Diese zählen wir. Wir zählen die Alpha-Kurs-Besucher. Wir zählen die Zahl der ehemals Kirchenfernen, Kleingruppenmitglieder. Wenn ein anonymer Katholik sich entscheidet, in eine Kleingruppe zu gehen, dann ist das bedeutend! Oder wenn Leute sich entscheiden, sich in den Diensten zu engagieren. Eine winzige Kirche, von denen aber 50 % echte Jünger sind, wird in der Mission 100 Mal effektiver sein, als eine Riesengemeinde mit 5% Jüngern, selbst wenn sie 10.000 Gottesdienstbesucher am Sonntag haben.

Father James Mallon, Divine Renovation, Gottesdienst
Father James Mallon, Studientag, Stadtpfarrkirche St. Georg, Augsburg. Foto: Thomas Weifenbach

Credo: Glauben Sie, dass der Ansatz, den Sie in Ihrem Buch „Divine Renovation“ beschreiben, auch im kulturellen Kontext Deutschlands funktionieren kann?

Mallon: Davon bin ich überzeugt. Schauen Sie, wenn Gott es bei uns schaffen kann, dann kann er es auch bei Ihnen. Halifax ist eine relativ kleine Stadt. Unsere Diözese ist ebenso säkular wie viele andere im Westen. Wir erleben denselben Niedergang. In unsere Diözese haben wir in 17 Jahren einen Gottesdienstbesucherrückgang von 50 % erlebt. Das ganze Ding steht kurz vor dem Kollaps. Wir haben ebenso wie in Deutschland die Missbrauchskrise durchgemacht. Das alles ist sehr drastisch, und die Leute sind sehr entmutigt. Viele Menschen sind fortgegangen. Daher glaube ich, dass wenn so eine Erneuerung in Halifax möglich ist, es mit Sicherheit auch in Deutschland möglich ist. Aber abgesehen davon, soeben habe ich hier auf der MEHR-Konferenz mit etwa 8000 überwiegend jungen deutschen Katholiken die Messe gefeiert, die Gott begeistert angebetet haben! Das ist genug, um die ganze Welt zu verändern. Die Frage ist, ob wir bereit sind, mit Gott zusammenzuarbeiten. Papst Franziskus sagt, ich träume von einem missionarischen Impuls, der in der Lage ist, alles zu verwandeln: von unserer Zeit- und Terminplanung über unsere Strategien und Strukturen bis hin zu unserem Wortschatz. Das alles mit dem Ziel der Evangelisierung unserer Welt von heute. Dabei geht es nicht um unseren Selbsterhalt. Solange wir vom Selbsterhalt motiviert sind, wird Gott der Kirche niemals Erneuerung schenken. Wir müssen Gott bitten, unsere Herzen zu verwandeln, und bereit sein, um des Evangeliums willen unser Vorgehen zu verändern. Am Ende beweisen wir oft durch unser Handeln, dass wir eigentlich mehr an den Methoden als am Auftrag hängen.

Credo: Sie sprachen von Wortschatz: Ich habe in Ihrem Buch Begriffe gefunden wie „missionarische Jüngerschaft“ oder Elemente wie „Lobpreis und Anbetung“. Deutsche Katholiken würden eventuell fragen: „Ist das nicht evangelikal oder charismatisch?“ Was würden Sie darauf antworten?

Mallon: (lacht) Wir haben unsere Schubladen. Sobald wir etwas in die Schublade schieben, definieren wir sie aus unserer Erfahrung heraus als unnormal. Das behindert uns aber! Wir sollten Gott nicht durch unsere Definitionen eingrenzen. Er ist immerhin der Schöpfer des Universums. Und da wollen wir ihm sagen, was er tun kann und was nicht? Das ist unser Problem. Es wird Zeit, Gott Gott sein zu lassen und ihn nicht wie ein Haustier zu behandeln!

Der Begriff „missionarischer Jünger“ kommt aus der Schrift. „Jünger“ ist ein Wort, das Jesus gebrauchte. Und „missionarisch“ kommt von „apostolisch“.
Wir sind die „eine heilige, katholische und apostolische Kirche“. Ja, das bedeutet natürlich auch, dass wir die Bischöfe als Nachfolger der Apostel haben. Aber grundsätzlich heißt das, dass wir eine Kirche sind, die missionarisch ist. Das ist die Sprache der Bibel. Jesus sagt: „Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich euch.“ Wer ist damit angesprochen? Nicht nur wir! Damit bist du gemeint, der du gerade zuhörst! Jesus sendet dich! Du bist ein Ausgesandter, heißt Apostel, heißt Missionar!

Wir sind berufen, Jünger zu sein. Jesus sagt, „Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet“ (Joh 15,8). Jesus selbst sagt: „Werdet Jünger.“ „So sende ich euch“ (Joh 20,21). Hier geht es um „missionarische Jünger“. Papst Franziskus gebraucht diesen Begriff ständig! Als er Kardinal in Argentinien war, haben sich die südamerikanischen Bischöfe einen Monat lang mit Papst Benedikt XVI. in Brasilien getroffen und das Aparecida-Dokument formuliert (ich spreche darüber im Buch), und in diesem Dokument kommt der Begriff „missionarische Jünger“ 121 Mal vor.  Also bitte: Das ist durchaus katholisch! Beschwert euch bei Jesus und dann bei Papst Franziskus … und bei Johannes Paul II. … und noch bei Benedikt XVI.

Gottesdienst, Studientag in St- Georg
Über 500 TeilnehmerInnen, Studientag in St. Georg, Augsburg. Foto. Thomas Weifenbach

Credo: Als Sie angefangen haben, in Ihrer Gemeinde Neuerungen einzuführen, angefangen bei Glaubenskursen über neuer Musik, Kleingruppen etc., haben Sie mit Sicherheit Widerstand in Ihrer Gemeinde erlebt. Wie sind Sie damit umgegangen?

Mallon: Nicht immer besonders gut. Früher bin ich oft ungeschickt mit Widerstand umgegangen. Ich war verletzt, habe es persönlich genommen und wurde auch mal aggressiv und sauer. Als erstes müssen wir uns auf Widerstand einstellen. Es gibt natürlich Möglichkeiten, ihn nicht unnötig zu provozieren: Manchmal, wenn wir Veränderungen einführen, kündigen wir an, was die Veränderung sein wird und wann sie in Kraft treten wird, aber vergessen oft das Warum. Das ist aber sehr wichtig. Wenn man also mit einem Traum, einem Ziel in eine Pfarrgemeinde kommt, dann fängt man erst einmal damit an, über diesen Traum zu sprechen: wohin wir uns entwickeln wollen, wo Gott uns haben will. Wir versuchen, Leidenschaft zu wecken und mit dem Traum anzustecken.

Das ist einerseits nicht ganz einfach. Andererseits ist es auch nicht so schwer: Die meisten kanadischen Gemeinden sind voller Eltern und Großeltern, deren Kinder nicht mehr zur Kirche kommen. Fragen Sie dort einmal: „Hat jemand Familienmitglieder, die nicht mehr zur Kirche gehen und nicht an Jesus glauben?“ Da gehen alle Hände hoch. „Sind Sie damit glücklich?“ – „NEIN!“ „Wollen Sie, dass sich daran etwas ändert?“ – „JAAA!“ „Ok. Dann lassen Sie uns das anpacken.“

Und natürlich werden die Leute dann sauer, wenn tatsächlich Veränderungen kommen. Aber dann müssen wir auf das Warum zurückkommen und erklären. „Aus diesem Grund tun wir das“, „darum geht es uns“. Daher ist die Predigt auch so wichtig. Wir müssen an Wochenenden jede Gelegenheit nützen, über unseren Traum zu predigen, über den Zweck, was unsere Hauptstrategie ist, warum wir was verändern.

Sie müssen ihre Leiter gewinnen – jene, die Einfluss haben, unabhängig davon, ob sie Titel und Positionen haben oder nicht. Finden Sie heraus, wessen Meinung zählt, und gewinnen Sie sie. Damit, wenn Sie anfangen, etwas zu verändern, nicht alle gehen, sondern nur möglichst wenige. Der Schlüssel ist, dass nicht alle auf einmal gehen. Wenn Sie also Widerstand bekommen, gibt es wichtige Fragen: Unterstützt die Person das Ziel der Erneuerung, oder will sie am Minimalprogramm festhalten? Wenn letzteres, sagen Sie freundlich danke und verlieren Sie nicht viel Zeit mit ihr. Oder jemand ist wegen persönlicher Vorlieben verärgert. Etwa: „Sie haben meine Lieblingsmesse von 9 Uhr auf 8.30 Uhr verlegt“ – Komm schon, das ist zu billig! Jesus sagt, „Nimm dein Kreuz auf dich“, was so viel heißt wie: „Komm und stirb“, und wir werden sauer, weil die Gottesdienstzeit etwas ungemütlicher wird? Das nennt man geistlichen Egoismus. Man sagt dann freundlich danke und macht sich keine weiteren Gedanken darüber. Anders sieht es natürlich aus, wenn es darum geht, bestimmte Leute durch Zeitverschiebung für das Evangelium zu erreichen. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Wenn man Rückmeldung von jemand bekommt, der das Ziel unterstützt und nicht mit egoistischen,sondern theologischen Motiven und Begründungen kommt, dann muss man schon eher darauf eingehen. Dann fragt man: Ist diese Person eingebunden in den Dienst, wächst sie im Glauben oder ist es ein Zaungast? Dann muss man abwägen, wie man zuhört. Wenn man fieses Feedback in Anrufen und Emails bekommt, anonyme Briefe, Gerüchte in der Diözese gestreut werden, was man angeblich gesagt oder getan haben soll, dann ist das sehr schmerzhaft. Es gab Klagen beim Bischof, sogar beim Papst. Anfangs hab ich mich gequält, indem ich das Zeug gelesen habe, aber das war dumm. Wenn jemand nicht frei genug ist, seinen Namen darunter zu setzen, dann lese ich es mittlerweile nicht einmal. Ich sage den Leuten, anonyme Briefe werden von meiner Sekretärin nicht einmal an mich weitergeleitet. Es landet gleich im Müll. Ich wertschätze Feedback, aber nicht anonym.

Credo: Wir kennen viele Bewegungen mit großen und besonders begabten Leitern. Kann der Ansatz, den Sie in Divine Renovation vorstellen, mit durchschnittlich begabten Menschen gelingen?

Mallon: Ich bin durchschnittlich begabt. Sie haben ein paar meiner Begabungen gesehen, die waren auf dem Großbildschirm. Sie sollten mal all die Begabungen sehen, die ich nicht habe. Ich hätte Divine Renovation allein niemals tun können. Ich habe die Gabe, zu begeistern und anzufeuern, bis die Bombe platzt, inklusive aller Kollateralschäden. Aber hier kommt mein Punkt: Es gibt keine abgerundete Person, dafür aber abgerundete Teams. Ich glaube, jeder Leiter kann ein besserer Leiter werden. Man muss bereit sein, mit einem Team zu arbeiten, sich in seine Stärken reinhängen und Leute um sich scharen, die darin stark sind, worin man selbst schwach ist. Menschen, die Dinge sehen, die man selbst nicht sieht. Wir haben alle blinde Flecken. Das Problem mit blinden Flecken ist, wir wissen nicht einmal, dass wir sie haben.

In der Kirche wird das noch verstärkt, weil Leute nicht wissen, wie man Autoritätspersonen anspricht. Gestern Abend sagt mir jemand: „Sie haben einen roten Fleck am Ohr.“ Ich habe dann realisiert, dass ich diesen Fleck schon den ganzen Tag gehabt haben muss. Ich habe mit dutzenden von Leuten gesprochen, und niemand hat es mir gesagt. Wir haben blinde Flecken, und man traut sich nicht, mit uns zu reden, sondern nur über uns. Auch das muss sich ändern. Ich glaube, dass Divine Renovation keine Methode ist, sondern ein Angebot. Und zwar folgendes: Legen Sie die Weichen zur Gesundung ihrer Pfarrei! Gesunde Organismen wachsen und sind fruchtbar. So einfach ist das.

Der Kern dessen, was Sie ändern müssen, ist die Kultur. Wenn Sie eine gesunde missionarische Kultur haben, werden Sie eine fruchtbare, sich vermehrende missionarische Kirche werden. Eine Kultur wiederum besteht aus Werten – nicht zwingend aus jenen, die Sie bekennen, sondern aus jenen, die Sie leben. Wie Sie diese in Deutschland leben, mag am Ende sehr unterschiedlich sein von dem, was wir in Halifax leben. Wir sagen ja nicht, „Machen Sie es uns nach!“ Schauen Sie auf die Werte wie z.B. Kleingruppen. Bauen Sie Kleingruppen in ihrem Kontext, so wie es für Sie sinnvoll ist. Leben Sie Gastfreundschaft so, wie es für Sie sinnvoll ist. Aber wenn Sie diese Werte leben, wird das Ihre Kultur verändern. – Gesundes wächst und vermehrt sich.

Dabei ist gute Leiterschaft der Schlüssel. Leiterschaft ist der Schlüssel, der alle anderen Charismen freisetzt.

Credo: Vielen Dank für das Gespräch.