Es folgten die weitere Versorgung im Krankenhaus, ein künstliches Koma mit weiteren lebensbedrohlichen Komplikationen, aus dem ich erst zwölf Tage später erwachte. Nach einer weiteren Woche auf der Intensivstation ging es zur Reha in eine andere Klinik. Ich konnte nicht mehr stehen, gehen, noch verständlich sprechen. Dort lag ich nun im Bett, erschüttert über meinen eigenen körperlichen Zustand: „Du hast fünf harte Jahre hinter dir“ – es sprach die liebevolle Stimme, die ich seit meiner Kindheit kenne und die meine Seele streichelte.
Augenblicklich liefen die fünf Jahre in Sekundenschnelle vor meinem geistigen Auge ab. Ja, so war es gewesen. „Du bist immer am Limit gelaufen, meistens darüber“ – waren die nächsten Worte. Ja, es war so gewesen – immer schneller, immer mehr habe ich getan. Wie ein Hamster im Laufrad bin ich gelaufen und konnte mich selbst nicht dauerhaft bremsen. Und schon kam der nächste Satz, liebevoll und ohne Vorwürfe: „Du hast dich und deinen Körper immer nur getreten“ – ja, auch das war so gewesen, auch das hatte ich getan. Kein anderer hatte mich „getreten“, ich selbst bin so mit mir umgegangen, kein anderer war schuldig. Bei dieser schmerzlichen Erkenntnis liefen mir einfach nur die Tränen – kein einziges Veto konnte ich einlegen!
Und dann kam aus dem tiefsten Innern meiner Seele die Erkenntnis, vielleicht als ein verinnerlichtes Lernen: „So, und ab jetzt werde ich mich und meinen Körper nicht mehr treten!“ Bei jeder einzelnen Zelle meines Körpers habe ich mich entschuldigt – dafür, dass ich ihn selbst oft so schlecht behandelt habe.
Nach und nach wurde mir bewusst, dass mir ein zweites Leben geschenkt worden war.
Nachdem ich selbst das erste Mal wieder auf meinen Beinen stehen konnte, liefen mir einfach nur die Tränen – welch wunderbares Gefühl –, und gleichzeitig wurde mir sehr bewusst, dass nichts, rein gar nichts im Leben selbstverständlich ist. Nein, es war nicht selbstverständlich, dass ich all das so überlebt hatte, es hätte alles anders kommen können, und eine demütige Dankbarkeit erfüllte mich. Meine behandelnden Ärzte sprechen von einem Wunder, dass ich all das so überlebt habe, ohne dauerhaften Schaden an Körper, Geist und Seele.
Es war und ist in diesem geschenkten zweiten Leben nichts mehr so wie es war – mein Leben wurde wieder einmal auf den Kopf gestellt, nicht nur durch diesen körperlichen „Vollcrash“, sondern auch durch das, was meine Seele während meiner langen Reanimation erleben durfte:
Da lag nun mein Körper, er wurde reanimiert und immer wieder mit dem Defibrillator geschockt.
Ich konnte alles von oben sehen und fühlen; die anwesenden Sanitäter mit und in ihren Emotionen, in ihren Bemühungen, mich ins Leben zurückzuholen, den ankommenden Notarzt, meine Tochter. Ich konnte nicht nur die gesprochenen Worte hören, sondern auch die Gedanken und Gefühle der anwesenden Menschen sehen. Alles war wie in einem totalen Chaos, und gleichzeitig konnte ich alles in einer wunderbaren Ordnung wahrnehmen.
Der Anblick meines eigenen Körpers, der reanimiert, intubiert, beatmet und defibrilliert wurde, war für mich sehr, sehr schlimm und fast nicht zu ertragen, und ich wollte, dass man meinen Körper einfach nur in Ruhe lässt, und versuchte, mich bemerkbar zu machen, aber keiner nahm mich wahr! Dann konnte ich den Anblick meines leidenden Körpers und den Schmerz, das Leid, die Ohnmacht und Hilflosigkeit, in der sich meine Tochter befand, nicht mehr ertragen. Traurig, sehr traurig und langsam bin ich gegangen und fand mich an einem kristallklaren Wasser wieder, dort weinte ich unsagbar traurig hinein. Irgendwann stand ich auf einem hohen Berg, der höher nicht sein konnte, und wandte meinen Blick nach oben:„Bitte hilf mir, ich weiß nicht, was ich tun soll!“
Eine fühl- und sichtbare göttliche Liebe ohne Bedingungen durchströmte mich.
Augenblicklich wurde ich in ein wunderbares, goldgelbes Licht eingehüllt, es durchfloss mich und breitete sich aus, soweit ich sehen konnte – die unbeschreibliche, fühl- und sichtbare göttliche Liebe ohne Wenn und Aber und ohne Bedingungen durchströmte mich. Alles war ohne Raum und Zeit, ohne Schmerz und Leid, ohne die Erdenschwere, aus der ich gekommen war. Ich fühlte mich nur unendlich wohl in einem Gefühl, das mit den Worten unserer Sprache nicht zu beschreiben ist, weil es diese Worte in unserer Sprache nicht gibt. In den glücklichsten Momenten auf der Erde habe ich dieses Gefühl nicht erlebt, es ist nicht von dieser Welt.
Ich wollte nicht mehr zurück! Aber ich durfte noch nicht bleiben: „Du weißt sehr wohl, was du tun musst, du musst zurückgehen!“ Den Klang dieser liebevollen Stimme, die meine Seele streichelte, kenne ich seit meiner Kindheit. Damals gehörte sie einem Schäfer mit einer schneeweißen Schafherde, bei dem ich als Kind mehr als einmal im Zustand zwischen Leben und Tod sein durfte. Bei ihm in seiner unbeschreiblichen, allumfassenden Liebe ohne Wenn und Aber und ohne Bedingungen. „Damals“ gab er mir immer wieder die Kraft weiterzuleben, und so viele Antworten und Erklärungen, wie ich Fragen hatte.
Ja, ich wusste, dass ich noch einmal zurückkehren musste, denn „die Seele ist das Unsterbliche eines jeden Menschen, der Ort, in dem Gott in jedem Menschen zuhause ist. Die Seele begleitet den Menschen immer und überall hin, im Leben und besonders in den Tod. Erst wenn der Körper gestorben ist, darf die Seele gehen“ – das wusste ich seit meiner Kindheit, denn so hatte es mir der Schäfer damals erklärt.
Ich durfte noch nicht bleiben
Weil mein Körper in der Reanimation zwischen den Welten war, weder tot noch lebendig, musste ich noch einmal zurück, entweder zum Leben oder zum Sterben. Aber ich ging trotzdem noch einen Schritt höher, obwohl der Berg schon zu Ende war, ich fühlte mich nur unendlich wohl in der sicht- und fühlbaren Liebe und den jetzt noch sanften Farben, die mich dann dort umgaben und berührten. Die Farben des Regenbogens, in unendlichen Abstufungen. Farben, wie es sie auf der Erde nicht gibt, weil der Glanz der bedingungslosen Liebe nicht eingewebt ist. Und in diesem „Lichtfarbenfall“ sah ich hin und wieder eine Gestalt oder auch Gesichter, die ich nicht erkannte und die mir gleichzeitig sehr bekannt waren. Meine Bitte an Gott war, dass ich zurückkehren darf, ohne noch einmal den Raum, die Menschen und die ganze Situation sehen und fühlen zu müssen, aus der ich gegangen war.
Blitzschnell war ich zurück in meinem Körper, ohne noch einmal die Situation sehen zu müssen – nach 27minütiger Reanimation war ich zurück, und es war eine Rückkehr ins Leben. Meine Zeit war noch nicht gekommen, in dieser unbeschreiblichen fühl- und sichtbaren Liebe unseres Schöpfers bleiben zu dürfen.
Mein Körper erholte sich langsam, und oftmals ging es mir sehr schlecht, nichts war mehr so, wie es gewesen war. Damit musste ich lernen, zurechtzukommen. Damit, dass es für mich nicht einfach war, wieder in der Alltäglichkeit eines „normalen“ Erdenlebens zu sein, manchmal in dem Gefühl, dass mein Leben auf der Erde nur noch die „zweite Wahl“ ist. Es war ein Weg für mich, wieder ganz auf dieser Erde anzukommen, denn auch mein eigener menschlicher Geist ist zu klein, das zu verstehen, was meine Seele vor über fünf Jahren erleben durfte.
Nach dem Erlebnis haben sich Prioritäten dauerhaft verändert.
Sehr dankbar bin ich, dass sich etliche (scheinbare) frühere Prioritäten einfach dauerhaft geändert und verändert haben, weil nichts wichtiger sein kann als die eigene Gesundheit, denn wir haben nur diese eine Gesundheit. Sie ist ein Geschenk, und der achtsame Umgang mit sich selbst, unseren Mitmenschen und allem, was unsere Schöpfung ausmacht, kann nur ein kleiner Dank an unseren Schöpfer für dieses wundervolle Geschenk sein. Aus meinem ganzen bisherigen Leben habe ich für mich die Erkenntnis, dass nichts im Leben sinnlos geschieht und gerade Lebenskrisen, gleich welcher Art, gute Lehrmeister sind. Sie geben uns die Chance zu lernen, das Leben zu überdenken und zu ändern.
Wenn man erfahren hat, dass das Leben innerhalb eines Bruchteiles einer Sekunde einfach vorbei sein kann, spätestens dann ist es keine „Selbstverständlichkeit“ mehr, am Morgen den Tag auf seinen eigenen Beinen zu beginnen und abends beenden zu dürfen. Nichts, rein gar nichts in unserem Leben ist „selbstverständlich“ – unser Leben ist ein Geschenk. Im Laufe der vergangenen Jahre wurde mir dann auch sehr klar, dass dieses geschenkte zweite Leben logischerweise auch andere Aufgaben haben soll. Wie sollte es anders sein! „Du sollst Zeugnis geben“, war die Antwort seiner liebevollen Stimme auf meinen verzweifelten Gedanken: „Was soll ich denn noch hier?“