Thema · Barmherzigkeit
Was kann ich da schon tun? – Die drei Ebenen des Helfens
von Dieter Zwikirsch · 02.12.2016
Haben wir uns nicht schon alle dabei ertappt? Wir stehen einer Person gegenüber, die leidet. Entweder ganz still, und wir können es nur erahnen, oder wir erleben es sogar als aufdringlich, wie sich diese uns gegenüber gibt. Ja, wenn derjenige, dem wir helfen möchten, „bemitleidenswert“ und irgendwie „lieb“ aussieht, klein, geduckt und dankbar lächelt, dann mag es noch gehen. Vielleicht so wie die Spendenbüchsen, die es früher in den Missionsstationen gab. Sie hatten die Form eines „kleinen Negerleins“, das lächelte und dankbar nickte, wenn man eine Münze hineinwarf.
Doch wenn sich die Not des anderen auch für mich nicht gut anfühlt? Dann mache ich lieber einen weiten Bogen und lege mir dafür „schöne“ Argumente zurecht. „Ja, wenn ich dem jetzt was gebe, das versäuft der doch sowieso.“ Oder: „Wo soll ich denn für den eine Wohnung oder Arbeit herbekommen?“ Oder: „Ja, ist denn der über den Verlust nicht endlich hinweg? Ich kann das nicht mehr hören.“ So oder ähnlich kommt es in uns oft hoch, wenn uns Leid begegnet. Und wir nicht wissen, was wir tun sollen. Dabei ist es eigentlich nicht so schwer.
Die erste Ebene des Helfens: konkrete Beseitigung der Not. Einer Not liegt immer ein leiblicher oder seelischer Mangel zugrunde. Die meisten Menschen glauben deshalb, diese Not dem anderen nehmen zu müssen, um ihm zu helfen. Dies kann aber nur der tun, der die Möglichkeiten dazu hat. Das heißt Verbandszeug für den, der eine blutende Wunde hat, Arbeit für den, der arbeitslos ist, einen Rettungsring für den, der ins Wasser gefallen ist, eine Wohnung für den, der keine hat usw. Die „Wiederbeschaffung“ eines Verstorbenen, dessen Tod jemand leiden lässt, gehört zu den Dingen, die wir sicher nicht bewerkstelligen können. Dennoch ist auch die konkrete Hilfe häufiger möglich als man denkt. Und sicher würde es jeden Betroffenen schon freuen, wenn es sein „Nächster“ wenigstens versuchen würde. Wenn aber nichts Konkretes geht? Was dann?
Die zweite Ebene des Helfens: Zuhören mit Empathie und Verständnis. Auch mit leiblicher Not ist eine seelische Not verbunden. Wie Balsam kann es deshalb für einen leidenden Menschen sein, wenn er jemand begegnet, der sein Leid versteht. Wenn er einem Menschen begegnet, bei dem er sich einfach „ausquatschen“ kann und der ihm nicht mit Besserwisserei, Ratschlägen und Kritik, sondern mit einem echtem Mitfühlen und mit Verständnis begegnet. Nach so einer Begegnung geht es jedem Menschen besser. Denn das Schlimme an vielem Leid ist, dass oft genau das Gegenteil geschieht. Dass man sich einer Wand der Ausgrenzung und des Unverstehens gegenüber sieht. Wie die fast schon „klassische“ Situation gegenüber einem Menschen, der unter Depressionen leidet, und wenn ihm dann so begegnet wird, als ob er nur „zu faul“ wäre. So ein Verhalten verletzt zusätzlich zu dem eigentlichen, schon vorhandenen Leid.
Die dritte Ebene des Helfens: passives Zuhören Diese Stufe wäre, zumindest theoretisch, von jedermann zu leisten. Denn selbst wenn man nichts von dem versteht, was der andere an Leid erlebt, sei es aus intellektuellem oder emotionalem Mangel, hilft es dem mit Leid beladenen Menschen, einfach mal „sein Herz ausschütten zu dürfen“. Dies kann ungeheuer erleichtern und die mit größerem Leid meist einhergehende Vereinsamung durchbrechen.
Nichtsdestotrotz ist es meine Beobachtung, dass egal, welche der drei Ebenen von Hilfe jemand leistet, es den Helfer immer etwas kostet. In Galater 6,2 ist dies so beschrieben: „Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ So, jedoch, wird der Helfende immer zum „Mitträger“ des Leidens. Er „trägt mit“ an dem Leid und lindert dadurch den Schmerz des anderen. Oder, wie es sogar der Volksmund sagt: „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“
Dass dies eines jeden Christen Grundpflicht ist, wird heute in der Verkündigung leider häufig vernachlässigt. Stattdessen wird über den Aspekt der Wandlung des eigenen Ich durch Jesus Christus gesprochen. Das ist aber kein Widerspruch, sondern es ist beides richtig. Man könnte hier von einer Ich-Verpflichtung und einer Du-Verpflichtung eines jeden Christen sprechen. Das heißt, dass ich die Bitte um Hilfe an einen Anderen niemals als Forderung erheben darf. Stattdessen darf ich aber einzig und allein alles von Jesus Christus erwarten. Dennoch besteht für mich zugleich die Du-Verpflichtung, alles erdenklich Mögliche für meinen „Nächsten“, der mir in leiblicher oder seelischer Not begegnet, zu tun.
Manchmal kann es schon sehr wenig sein, das hilft. Denken wir an die Aussage eines Selbstmörders, der gerettet werden konnte und danach sagte: „Ich hätte es nicht getan, wenn ich an diesem Tag einem einzigen Menschen begegnet wäre, der mich angelächelt hätte.“