Vor vielen Jahren – gut, eigentlich ist es objektiv betrachtet noch gar nicht so lange her, und doch fühlt es sich schon wie fernste Vergangenheit an – habe ich mir mein Geschichtsstudium in Wien mit verschiedenen Nebenjobs finanziert; einer davon war es, für eine Zeitarbeitsfirma gelegentlich als Küchenhilfe zu arbeiten. So weit, so unspektakulär.
Einer meiner Einsätze ist mir aber dauerhaft in Erinnerung geblieben. Ich weiß nicht mehr genau, wo es war oder welcher Anlass, aber auf jeden Fall fand ich mich zusammen mit zwei muslimischen Kolleginnen beim Bananen-Aussortieren. Wenn sich das wie eine eher unspannende Aufgabe anhört, dann stimmt das auch: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, und bei mehreren hundert Bananen insgesamt über zwei Stunden hinweg.
Vom Smalltalk zum Deeptalk
Dass man bei so einem eher öden Job ins Plaudern kommt, dürfte nicht weiter verwunderlich sein. Zunächst ging es natürlich um vergleichsweise belanglose Infos und Höflichkeiten, die man austauschte – typischer Smalltalk halt.
Aber irgendwie kamen wir dann tiefer ins Gespräch und ich lernte, dass meine beiden Kolleginnen zwar beide muslimischen Glaubens waren, aber doch sehr verschieden: Eine von ihnen war in Österreich geboren und aufgewachsen; sie kam aus einer türkischstämmigen Familie und war Sunnitin. Die Andere hingegen war erst acht Jahre zuvor aus Afghanistan nach Wien geflüchtet und schiitischen Glaubens. Und ich war ein aus Bayern stammender Katholik.
Das war mal interessant! Ich musste damals (und muss es eigentlich immer noch) zugeben, dass mein Wissen über den Islam, seine Geschichte und seine vielen verschiedenen Unterströmungen ausbaufähig ist. Insofern war es unglaublich spannend für mich, als die beiden zu erzählen begannen: Was ihr Glauben für sie jeweils bedeutete, wie sie ihn lebten, wie ihre Feiern aussahen, wie bedrückt sie über den IS waren, der sich damals wie ein bösartiger Tumor über den Nahen Osten auszubreiten drohte – und auch zwischen den beiden kam es zu überraschenden Entdeckungen, denn Schiiten und Sunniten haben sich nicht nur im Nahen Osten oft wenig zu sagen. Meine Kolleginnen waren immer wieder ganz erstaunt, wie nah und doch unterschiedlich ihre jeweiligen Auffassungen von „Islam“ doch zueinander waren.
Katholisch glauben – was heißt das?
Und ich, der Katholik? Die beiden waren ehrlich interessiert am Inhalt des christlichen Glaubens. Lange sprachen wir über die verwunderliche und tröstliche Tatsache, dass Jesus und Maria sowohl da als auch dort wichtige Bezugspunkte darstellen, wenngleich das jeweilige Verständnis ihrer Rolle und Bedeutung natürlich grundverschieden ist.
Und sie wollten wissen, was wir eigentlich genau glaubten: Ist die Dreifaltigkeit nicht ein versteckter Polytheismus? Was hat es mit den Heiligen auf sich? Und wie verstehen wir Christen Jesus eigentlich genau?
Und in diesen so spannenden zwei Stunden des Bananen-Sortierens und Redens kam nun der für mich faszinierendste Punkt. Als ich ihnen vom christlichen Glauben an die Auferstehung Jesu erzählte, kam die Frage: „Aber was ist das eigentlich: Auferstehung?“ Nicht nur fand ich es erstaunlich, dass zwei intelligente und interessierte junge Frauen jahrelang im katholischen Österreich leben konnten, ohne je auch nur vom Glauben an die Auferstehung gehört zu haben – ich selber wurde als Nicht-Theologe auch gezwungen, mir Gedanken über mein eigenes Verständnis von diesem Dreh- und Angelpunkt unseres ganzen Glaubens zu machen. Was ist Auferstehung für mich und wie kann ich es in Worte fassen?
Ein geglückter Dialog
Als alle Bananen geprüft waren und unser Gespräch zu seinem Ende kam, bedankten sich die beiden bei mir: Ich sei der erste Christ überhaupt gewesen, der mit ihnen über seinen Glauben gesprochen hätte. Und auch ich hatte zu danken, denn ich hatte sehr viel über den Islam gelernt und vielleicht sogar noch mehr über meinen eigenen Glauben, den ich erstmals in einfach zu verstehende Worte fassen musste.
Ich habe seitdem viel und immer wieder über dieses Gespräch nachgedacht. Ich werde bestimmt nicht der erste praktizierende Christ gewesen sein, den die beiden getroffen hatten – aber ich war wohl wirklich der Erste, der mit ihnen darüber sprach. Und auch mir war es zunächst ein wenig unangenehm, darüber zu reden, und nur nach dem freimütigen Glaubenszeugnis meiner Kolleginnen konnte ich mich beim Dar- und Auslegen meines Glaubens einigermaßen wohlfühlen.
Gesendet, um zu reden
Vielleicht ist das ein mögliches Verständnis von Sendung: Über den eigenen Glauben zu reden, ganz frei von missionarischen Hintergedanken, wenn man gefragt wird oder wenn man meint, dass es das Gegenüber interessiert. „Beim Reden kommen d’Leut zam“, heißt es. Ich habe zwischen den Bananenkisten damals unglaublich viel gelernt – über den Islam, aber auch über das Christentum und vor allem, dass man sich nicht für seinen Glauben genieren muss.