Thema · Leitartikel

Sag mir, wie du betest, und ich sage dir, was du glaubst

Sag mir, wie du betest, und ich sage dir, was du glaubst – ja, was du über Gott und den Menschen denkst. Tatsächlich, der erste Ausdruck des Glaubens an Gott ist das Beten: Man spricht – manchmal auch ohne äußere Worte – zu Dem, von dem man glaubt, dass er wirklich hört. Und umgekehrt: Wenn man nicht mehr betet, dann zeigt das eine Beziehungskrise an: „Wer nicht betet, wird bald den Glauben verlieren“, warnte Martin Luther. Ein Plädoyer für das Gebet.

von Prof. Dr. Marianne Schlosser · 26.06.2024

Betende Hände von Albrecht Dürer vor rotem Hintergrund
Albrecht Dürer: „Betende Hände“ – Studie zu einer Apostelfigur des Heller-Altars. Bearbeitet von Credo

Wie und was wir beten, hängt sehr davon ab, wer Gott für uns ist. Manchmal fällt das Gebet einem Menschen deswegen schwer, weil ihm Gott oder Jesus Christus irgendwie „unbekannt“ oder „fremd“ ist. Paulus hat diesen Zusammenhang ausgedrückt: „Wie sollen sie den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Und wie sollen sie glauben, wenn niemand verkündigt?“ (Röm 10,14)

Als Christgläubige wissen wir, dass Gott nicht eine vage Ahnung unserer Seele, auch nicht eine Projektion unserer Ängste oder Wünsche, und kein unbeteiligtes fernes Wesen ist, sondern dass er sich geoffenbart hat: in der Geschichte Israels und zuletzt in Jesus Christus. Durch den Heiligen Geist werden wir in die Beziehung zu Christus und dem Vater aufgenommen; der Heilige Geist ist es auch, der unser Beten, als Einzelne und in der Gemeinschaft der Kirche, anspornt, trägt und formt.

Nie beten wir einsam und verlassen, sondern dürfen wissen, dass wir gehört, ja erwartet werden. Denn auch das gehört zum Glauben: Die Initiative geht von Gott aus. Er hat den Menschen erschaffen als Sein „Abbild“; das heißt: auf Ihn bezogen, fähig und berufen, bewusst und frei Antwort zu geben.

Welche Bedeutung kommt der Bibel bei unserem Gebet zu?

Wenn nun das Beten davon abhängt, wer der Angesprochene ist, dann liegt auf der Hand, welche Bedeutung der Heiligen Schrift für unser persönliches wie gemeinschaftliches Gebet zukommt; denn die Schriften des Alten und Neuen Testaments sprechen von Gottes Handeln und von Menschen, die „Gott wohlgefielen“.

Wir treffen auf verschiedene Situationen: Verfolgung, Krankheit, Ratlosigkeit, Freude, Staunen, Reue, Dankbarkeit … und begegnen Personen, die durch ihr Beten Vorbilder sind, wie Abraham, Mose, Hanna, David, Jeremia, Daniel und Esther. Im Neuen Testament wird uns besonders Maria vor Augen gestellt: als Vorbild für das betrachtende Gebet (Lk 2,19), die Bitte (Apg 1,13f.) und die Fürbitte (Joh 2,3) sowie den Lobpreis (Lk 1,46-55).

Wir finden auch geformte Gebetstexte, zum Beispiel die Psalmen und die neutestamentlichen „Hymnen und Lieder“ (zum Beispiel die Christus-Hymnen der Paulus-Briefe und die Gesänge in der Offenbarung des Johannes), die uns geistig „an die Hand nehmen“, damit wir uns beten trauen. Darum ist die Lectio divina, die betrachtende Lesung der Heiligen Schrift, eng mit dem Gebet verbunden – wie Hören und Sprechen.

Das Vaterunser ist der Maßstab für das christliche Beten

Das gilt natürlich in besonderer Weise für das Vaterunser, das den Christen seit der frühesten Zeit ein kostbares Erbe ist. Es ist nicht nur ein Gebet unter anderen, sondern Maßstab für das christliche Beten überhaupt. Darum entfaltet der Katechismus (auch heute noch) die Gebets-Unterweisung anhand dieses Gebets.

Die Kirchenväter sahen im Vaterunser eine Zusammenfassung der Frohen Botschaft: Es kann einen nur mit Freude erfüllen, Gott als Vater ansprechen zu dürfen, und so an der Beziehung Jesu zu seinem Vater teilzuhaben. So zu beten ist ein Privileg, das die „neue Geburt“ in der Taufe voraussetzt.

Dass es in der Wir-Form gebetet wird, macht deutlich, dass wir Brüder und Schwestern in Christus sind; dass wir uns zum „Vater im Himmel“ bekennen, drückt aus, dass wir in dieser Welt nicht daheim sind. Es schließt ein, das Reich Gottes an die erste Stelle zu setzen (Mt 6,33), die Bereitschaft, sich nach Gottes Willen auszurichten, Gottes Gaben – zum Beispiel die Vergebung – zu erbitten, anzunehmen und weiterzugeben. Solches Beten hat Auswirkungen auf das ganze Leben.

Wenn das Beten schwerfällt

Obwohl es so viele gute Gründe gibt zu beten, fällt es uns doch manchmal schwer. Es können Zweifel aufkommen, ob Gott mich wirklich hört oder sich für meine ungelenken Gebete interessiert. Ob vielleicht sowieso schon alles vorherbestimmt ist, und man gar nicht bitten bräuchte – soll Gott denn Seinen Plan ändern? Ob man sich trauen soll, um Seinen Willen zu bitten – wenn dieser vielleicht genau das Leid vorgesehen hat, das man fürchtet?

Und dazu kommen noch die gewöhnlichen Hindernisse: Zu viel zu tun, der Kopf ist voll, der Leib müde, die Sammlung gelingt einem nicht, innere Erfahrungen macht man auch nicht. Was „bringt’s“, zu beten?

Wie das Glauben einem manchmal leichtfällt und dann wieder schwer, so ist es auch mit dem Beten. Auch die großen Heiligen kennen solche Schwierigkeiten. Wenn Unlust oder Zweifel kommen, dann muss man sich auf den Felsengrund zurückbesinnen, auf dem das Haus des Glaubens gebaut ist: Jesus selbst fordert mehrfach dazu auf, zu bitten und nicht nachzulassen – selbst wenn man keine spürbare „Antwort“ bekommt (Lk 11).

Gott bitten

Nirgends wird gesagt, dass alle Bitten klug und die Worte wohlgesetzt sein müssen, sondern dass sie aufrichtigen Herzens vorgebracht werden, ohne daran zu zweifeln, dass Gott uns mehr liebt als wir uns selbst. Eben das ist ein Glaubensakt.

Wir bitten Gott nicht wie einen Menschen, den man erst für die eigenen Pläne gewinnen muss. Wir loben Ihn auch nicht, wie man Menschen lobt, damit sie uns gewogen seien und durch das Lob möglichst noch bessere Menschen werden. Wir bitten Gott, weil wir wissen, dass wir uns das Allerwichtigste nicht selber geben oder erarbeiten können, sondern es empfangen müssen: Vergebung und Heilung, Befreiung vom Bösen und Gnade, die Liebe, die das ewige Leben schenkt (vgl. Vaterunser-Bitten). Gott darum zu bitten, ist die Art, wie wir dabei als freie, personale Wesen mitwirken können und dürfen.

Und wenn wir auch um vieles andere bitten, dann sollen wir das zuversichtlich tun: Gott ist der Schöpfer von allem, daher kennt er alle Zusammenhänge in seiner Schöpfung; „er kann das Wetter von übermorgen mit meinen Gebeten von morgen zusammenbringen“ (C.S. Lewis).

Es kommt auf die Absicht an

Aber wenn man wenig Zeit oder Kraft hat? Da empfiehlt der hl. Franz von Sales Stoßgebete. Sie brauchen so gut wie keine Zeit, sind überall und ohne Aufwand möglich, und heiligen doch den gewöhnlichen Alltag.

Und wenn man immer wieder abgelenkt ist, etwa bei der Anbetung? Dann wird das Gebet dadurch nicht wertlos (vorausgesetzt, man will sich nicht absichtlich weg-denken!). Denn es zählt in erster Linie die Absicht, mit der man begonnen hat (so Thomas von Aquin): die Entschlossenheit, sich Dem zuzuwenden, der auf unsere Antwort wartet.

Zur Sammlung am Beginn kann eine ehrfürchtige Haltung (stehen, knien) oder das Kreuzzeichen – als Erinnerung an die Taufe – eine gute Unterstützung sein.

 

Anmerkung der Redaktion: Die Autorin war beim Studientag „Tat(w)ort Gebet – Die Mitte der Evangelisierung“ 2022 Hauptreferentin. Einen Bericht über ihren Vortrag kann man unter Nicht nur Taten, sondern auch Gebete gestalten Geschichte nachlesen.

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