Thema · Sehnsucht nach dem besten Freund
Nie mehr allein!
von Dirk-Henning Egger C.R.V. · 05.01.2021
Die Geschichte eines Jungen
Es war einmal ein Junge. Er wuchs in einer normalen Familie auf, in der jeder getauft, aber keiner gläubig war. Der Vater arbeitete und war kaum daheim, die Mutter war Hausfrau und einen Bruder hatte er auch noch. Aber trotz normalem Leben und trautem Heim spürte er in seinem Herzen immer eine tiefe dumpfe Leere. Er hatte kaum Freunde und in der Schule wurde er gehänselt. So wurde der Junge immer schüchterner und zog sich immer mehr in sich selbst zurück.
Manchmal kroch etwas langsam in ihm hoch, das ihm den Hals zuschnürte, vor dem er sich aber nicht wehren konnte: die Einsamkeit. Er versuchte, sich davon abzulenken. Er hörte Heavy-Metal-Musik, schrieb sogar Texte für satanistische Bands, trank viel Alkohol und geriet in eine Film- und Seriensucht. Am Ende seiner Schulzeit holte ihn aber die Einsamkeit wieder ein und er fiel in eine tiefe Lebenskrise: „Warum bin ich eigentlich auf der Welt? Ob ich lebe oder sterbe – das macht doch eh keinen Unterschied!“ Er fand keine Antwort, keinen Sinn im Leben, und spielte deshalb sogar mit dem Gedanken, sich umzubringen. Sein Leben lang sehnte er sich danach, wenigstens einen Freund zu haben. Wenigstens einen, mit dem er reden konnte und der seine Interessen teilte. Aber er fand keinen… Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er auch noch heute.
Never Ending Lovestory
Ja, das tue ich, und wie! Diese Geschichte ist kein Märchen, sondern der erste traurige Teil meines bisherigen Lebens. Aber keine Sorge, die Geschichte hat ein Happy End! Oder besser gesagt: sie ist eine Never Ending Lovestory. Aber wie das? In meiner Lebenskrise bin ich nämlich Gott persönlich begegnet und es begann mein Abenteuer mit dem, der die Liebe selbst ist – ja, der dieses total verrückte Ding, das man „Liebe“ nennt, überhaupt erfunden hat.
Mir kam es so vor, als sei ich mein Leben lang in der Ecke eines Zimmers mit dem Gesicht zur Wand gestanden – ganz im Dunkeln, weil ich nur meinen Schatten sehen konnte. Dann habe ich mich umgedreht und auf einmal konnte ich sehen, dass hinter mir Jesus stand – mit weit geöffneten Armen, mit einem herzlichen Lächeln und mit einer Wiedersehensfreude, die so hell gestrahlt hat, dass der ganze Raum herrlich erleuchtet wurde. Vor diesem wunderbaren warmen und lebendigen Licht habe ich mich selbst so lange weggedreht und musste unter meiner selbstgemachten Dunkelheit leiden.
Ich vertiefte meine Freundschaft mit Jesus vor allem durch das Beten mit der Bibel, inspirierende Vorträge eines gewissen Gebetshauses in Augsburg und durch eine faszinierend kreative Worshipkultur. Und so zog es mich immer mehr in die Stille und Einsamkeit. – Hä? Wieso das denn?
Einsamkeit als Chance
Ja, richtig gelesen: in die Einsamkeit. Auch wenn das früher das Schlimmste war, was ich mir vorstellen konnte: alleine in meinem Zimmer sitzen, ohne Internet, Musik, Filme, Serien oder sonst eine Ablenkung. Aber eines hatte ich mittlerweile verstanden: Einsamkeit ist die Chance zur Zweisamkeit mit Gott. Doch solche Chancen müssen aktiv ergriffen werden und man muss das Beste aus ihnen machen. So habe ich als Student viel Zeit in meiner kleinen Klosterzelle, alias Studentenzimmer, im stillen Gebet verbracht.
Vor allem die heilige Elisabeth von der Dreifaltigkeit hat mir dabei sehr geholfen: „Ich bin nie allein, Jesus ist immer da und betet in mir und ich in ihm. Du musst dir im Innern deiner Seele eine kleine Zelle bauen. … Wenn du traurig bist, geh schnell hinein und vertrau es deinem Meister an. Wenn du ihn ein wenig kennen würdest, würde Beten dich nicht langweilen. Mir kommt es vor wie eine Erholung, eine Entspannung. Man kommt ganz einfach zu dem, den man liebt. Bleib ganz nah bei ihm wie ein kleines Kind in den Armen seiner Mutter und lass deinem Herzen freien Lauf. So kommst du zu deinem besten Freund.“
Gott sagt dir, was er mit dir vorhat
Ich lernte, nicht nur zu Gott zu reden, sondern auch seine Stimme in meinem Innern immer deutlicher wahrzunehmen. Naja, und da hörte ich ein Anklopfen, das immer lauter wurde. Er wollte mir anscheinend schon lange etwas sagen: das, was man „Berufung“ nennt. Ich spürte die immer tiefer werdende Sehnsucht, meine Liebesbeziehung zu Jesus exklusiver zu leben und damit ein Leben der radikalen Nachfolge Jesu als Priester in einer Gemeinschaft zu führen. Mittlerweile lebe ich seit bald 8 Jahren im Kloster der Augustiner-Chorherren der Kongregation von Windesheim in Paring, im Süden von Regensburg. Es ist ein alter Seelsorgsorden, dessen Spiritualität mich sofort begeistert: die „Devotio moderna“, die man in einem Wort zusammenfassen kann: Innerlichkeit. Damit ist die innige persönliche Beziehung zu Jesus Christus gemeint, also nichts anderes als Freundschaft.
Wer Gott zum Freund hat, der kann gar nicht anders, als andere zu diesem faszinierenden Leben einzuladen. „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst.“ So hat es unser Ordensvater gesagt, der heilige Augustinus. Und das darf ich jeden Tag erleben, wenn ich Menschen auf ihrem Weg zu Gott oder ihrer Beziehung mit Gott begleite.
„Weit über alles Hoffen warst du barmherzig mit deinem Diener, und über alles Verdienst hast du ihm Gnade und Freundschaft geschenkt.“
(Aus der Nachfolge Christi des Augustiner-Chorherren
Thomas von Kempen, C.R.V.)
Alles in allem glaube ich, dass Gott Leere und Einsamkeit im Leben zulassen kann, weil sie in uns zur Sehnsucht nach Freundschaft, intimer Beziehung und Nähe führt, die uns wie ein Magnet zu Jesus und damit an das Vaterherz Gottes zieht.