Thema · Why Pfarrei?

Mallon und die Rettungsboote: Eine Pfarrei braucht Visionen

Pater James Mallon hat das geschafft, wovon viele unserer Pfarreien momentan nur träumen können. Seine Gemeinde in Kanada wächst und die Sonntagsgottesdienste sind voll. Seine  Erfahrungen, die er mit der Gemeinde gemacht hat, teilt er – auf durchaus unterhaltsame Weise – in seinem Buch „Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert“. Oben drauf gibt’s Tipps, wie auch unsere Pfarreien wieder neu aufblühen können.

von Simone Zwikirsch · 06.11.2019

frau steht an einem seeufer neben ruderbooten und blickt auf eine kirche anderen ufer
Was hat Kirche mit Rettungsbooten gemeinsam? (© Rota Alternativa on Unsplash)

Um zu verdeutlichen, woran es liegt, dass viele unserer Pfarreien nicht mehr wachsen, erzählt Mallon auf den ersten Seiten im Buch die Geschichte eines historischen Ereignisses:

Als vor rund hundert Jahren die Titanic sank, trieben unzählige Menschen im eiskalten Wasser auf dem Meer umher. In einiger sicherer Entfernung schipperten die nicht einmal halbvollen Rettungsboote vor sich hin und sahen dabei zu, wie Ihnen die Passagiere verloren gehen. Denn anstatt zu den Ertrinkenden rauszufahren und Leben zu retten, vergeudeten die Rettungstruppen wertvolle Zeit damit, die Beschwerden der Erste-Klasse-Passagiere über den unzureichenden Komfort der kleinen Boote zu managen. Bis sie sich endlich ihrer wahren Mission besannen, waren die meisten – alle bis auf drei –  Schiffsbrüchigen bereits erfroren.

So unglaublich diese Geschichte heute erscheinen mag, so erschreckend real ist die Situation, die Mallon mit dieser Titanic -Rettungsboot-Metapher diagnostiziert: Das Selbstverständnis vieler Pfarrgemeinden in der katholischen Kirche.

Rettungsboot oder Luxusyacht?

In unseren Pfarrgemeinden gäbe es theoretisch viele freie Plätze für diejenigen, die am „Untergehen“ sind und der Kirche verlorengehen. Doch anstatt diese zu suchen und zu retten, sitzen wir oft in sicherer Entfernung und beschäftigen uns mehr mit unseren eigenen Bedürfnissen und unserem eigenen Wohlbefinden. Menschen aufnehmen, die zu uns geschwommen kommen – Why not? Aber aktiv zu ihnen hinausfahren? No way!

„Wir haben unsere grundlegende missionarische Identität vergessen: Dass die Kirche nicht eine Mission hat, sondern eine Mission ist“. (DR, 357)

Angenommen, man würde in einer Pfarrei die Umfrage starten, wozu Rettungsboote da sind, wäre die Antwort vermutlich recht eindeutig: Um Menschen zu retten. „Genau das Gleiche gilt auch für die Kirche […] Aber wir nutzen unsere Boote nicht zu dem Zweck, für den sie gebaut sind“, sagt James Mallon. Unsere Mission als Kirche ist dieselbe wie die eines Rettungsbootes: Nämlich „jene zu suchen und zu retten“, die am Untergehen sind. Dieser Auftrag ist aber nicht nur unsere Mission, sondern noch viel mehr. Sie ist unsere Identität als Kirche. Während wir auf unseren Luxusyachten des traditionellen Pfarreilebens durch die Kirchenkrise schippern, wird das jedoch meist vergessen.

Rettungsboot oder eher Luxusyacht? Eine Frage, der sich viele Pfarreien stellen müssen. (© Gennady Danilkin, stock.adobe.com)

„Wir kümmern uns um die Erhaltung unserer Rettungsboote, wir streichen sie mit Farben an, wir dienen den Menschen, die sich darin befinden, wir sorgen dafür, dass es ihnen gut geht. Aber wir nutzen unsere Boote nicht zu dem Zweck, für den sie gebaut wurden. „ (DR, 31)

Die Frage, die James Mallon daher zurecht umtreibt, ist: Wie gewinnen wir unsere missionarische Identität zurück? Oder bildlich gesprochen: Wie werden wir wieder zu Rettungsbooten?

Von der Mission zur Vision

Um uns nicht planlos um uns selbst zu drehen, sondern auf die Mission hinzuarbeiten, braucht es eine Vision. Ein „Bild von der Zukunft, das in uns Leidenschaft entfacht“, wie James Mallon einen erfolgreichen Gemeindeleiter zitiert. Jedem erfolgreichen Unternehmen liegt eine kühne Vision zugrunde. Warum sollte das nicht auch für unsere gelten. Darum rät Mallon allen Pfarreien, in denen eine Unzufriedenheit erkennbar ist (also gefühlt jede), dringendst dazu, eine Vision zu entwickeln, diese aufzuschreiben und den Gemeindemitgliedern zu kommunizieren. Ein Prozess, der unter Umständen auch mehrere Jahre dauern könne, sich dafür aber auch auszahle, ermutigt er seine Leser. Gemeinsam mit seiner Pfarrei St. Benedict hat James Mallon folgende Vision erarbeitet:

„Die Pfarrei St. Benedict ist eine gesunde und wachsende Glaubensgemeinschaft, die die Menschen zu Christus führt und Jünger ausbildet und aussendet, um die Welt zu verändern. Jedes Mitglied verpflichtet sich zu Anbetung, Wachstum, Dienst, Gemeinschaft und Freigiebigkeit.“ (DR 319)

Obwohl die Erklärung bewusst im Präsens formuliert ist, macht Mallon deutlich: Eine Vision ist keine Beschreibung, wo die Gemeinde gerade steht, sondern eine Beschreibung der Zukunft, wohin die Pfarrei gehen will. Und dabei dürfen wir wirklich groß träumen. Denn eine angemessene Vision für eine Pfarrei müsse über den sicheren Bereich unserer eigenen Stärken und Ressourcen hinausgehen und setze ein ordentliches Maß an Gottvertrauen heraus, so Mallon.

In wessen Köpfen nun bereits die ersten Visionen groß werden, findet in Mallons Buch nicht nur viel Ermutigung, sondern auch hilfreiche Werkzeuge, einen Erneuerungsprozess in Gang zu setzen. Auch für diejenigen, die sich mit der Entwicklung einer Vision eher schwer tun, ist das Buch „Divine Renovation“ sicher eine gute Investition, um sich wachrütteln und inspirieren zu lassen. Denn für uns Christen ist eine Vision nicht nur eine Schau dessen, wie unsere Pfarrei in zehn Jahren aussehen soll, sondern auch eine Schau des Himmels.

James Mallon: Divine Renovation – Wenn Gott sein Haus saniert. Von einer bewahrenden zu einer missionarischen Kirchengemeinde. Erschienen bei D&D Medien (2017), 363 Seiten, 24,90€.