Raphael Schadt im Credo Talk mit Dr. Peter Bornhausen.
Credo: Warum „macht” die Kirche per Sprechakt Heilige?
Dr. Peter Bornhausen: Wie immer empfiehlt sich ein Blick in die Bibel. Dort werden einige Adressaten der neutestamentlichen Briefe bereits Heilige genannt, also zu Lebzeiten. Diese Verbundenheit mit Jesus, die sich in Taufe und Glaube ausdrückt, befähigt zum Heiligen.
Credo: Heilig gesprochen werden ja nur Tote. Warum?
Bornhausen: Um sicher zu gehen. Es könnte ja sein, dass jemand im letzten Moment noch einen U-Turn weit weg von der Heiligkeit vollzieht. Das schöne Wort vom „Blut der Märtyrer als Same der Kirche” etwa, das stammt von Tertullian, einem der bedeutendsten kirchlichen Schriftsteller seiner Zeit. Er bog dann jedoch ab, schloss sich einer Sekte an und scherte damit aus der apostolischen Einheit aus. Daher wird er nicht als Heiliger verehrt.
Credo: Stellt die Kirche Heilige als Vorbilder auf, wie etwa ein Lehrer den braven Streber: „Schaut euch mal den Maxi an, der macht immer seine Hausaufgaben, ist sauber gekämmt …”?
Bornhausen: Im November wurde in Freiburg Max Josef Metzger selig gesprochen. Der war tatsächlich eine furchtbare Nervensäge, der mitunter richtig unangenehm auffiel. Er war unbeirrbar stur. Das ist offenbar aber auch das Holz, aus dem Märtyrer geschnitzt sind. Er wurde eben nicht als menschliches Vorbild selig gesprochen, sondern sein Martyrium wurde anerkannt. Er wurde von den Nazis aus Glaubenshass ermordet – seine Verdienste treten vollkommen in den Hintergrund, obwohl er wirklich sehr segensreich gewirkt hat.
Credo: Gab es Heiligsprechungen zu rein politischen Zwecken?
Bornhausen: Es gibt natürlich Heilige, gerade Nationalheilige, da sieht man im kirchengeschichtlichen Rückblick die Absicht der Herrschenden mit einer kooperationswilligen Kurie etwas zu deichseln. Bei der Gründung eines neuen Bistums oder der Dedikation einer Kathedrale, da brauchte man einen Heiligen. Da mussten dann etwa die Gebeine dessen ausgebuddelt werden, der gerade umgebracht wurde.
Das ist zum Beispiel mit dem heiligen Wenzel so passiert. Er wurde im Auftrag seines Bruders Boleslav ermordet, wurde dann aber nützlich für die Errichtung Prags als Bistum. Boleslav leitete dann die Kanonisation seines eigenen Bruders ein und bediente sich dazu eines willfährigen Papstes. Und solche Geschichte sind Legionen. Das steht auch in jedem ordentlichen kirchengeschichtlichen Aufsatz. Aber das tut der Verehrung Wenzels keinen Abbruch. Diese Gegensätze hält die katholische Kirche durchaus zusammen. Das ist das katholische „Sowohl als auch”.
Credo: Was „bringen“ mir Heilige?
Bornhausen: Das Christentum, auch in seiner katholischen Ausprägung, ist keine individualistische Religion. Wir denken von der Kirche als dem „fortdauernden Leib Christi”. Dazu gehört die Gemeinschaft der Heiligen, die Gemeinschaft seiner Kirche, die er herausgerufen hat. Das ist bereits im Alten Testament zu Grunde gelegt. Gott ruft sich ein Volk heraus.
Die Heiligen, das sind alle, die bei Gott vollendet sind. Sie gehören zu uns und wir gehören zu ihnen. Dieser Kosmos ist durchlässig und erlaubt eine Wechselwirkung: Wir können die Heiligen um ihre Fürsprache anrufen und sie erbitten uns Gnaden von Gott. Und natürlich kann man sich seinen Namenspatron, oder Heiligen aussuchen, dem man durch Abstammung, Namensgebung, Beruf oder auch Zuneigung besonders verbunden ist. Oder auch durch Losung wie bei Jahresheiligen. Aber alles nur innerhalb der Kirche als Sendung Jesu Christi.
Credo: Können Heilige Einfluss nehmen auf unser Leben?
Bornhausen: Die Verehrung unseres Landespatrons zum Beispiel: Der heilige Michael als Patron der Deutschen. Michael beschützt ja vor allem das Volk der Israeliten. Das ist schon in der Bibel oder in apokryphen Schriften grundgelegt. Er erscheint aber tatsächlich immer wieder in ganz brenzligen Situationen. Berühmt ist beispielsweise die Michaelsvision: Als Papst Gregor der Große um das Jahr 600 eine Pestprozession anführte, sah man, wie ein Erzengel auf dem Hadrians Mausoleum erschien und sein flammendes Schwert, wieder in die Scheide steckte. Damit war die Pest vorbei. Seitdem heißt dieses Hadrian Mausoleum in Rom die Engelsburg.
Credo: Nach Heiligsprechungen gelten Heilige als „anrufbar”, man darf sie jetzt anrufen. Was passiert, wenn man jemanden anruft, der nicht heilig gesprochen ist? Würdest du davon abraten?
Bornhausen: Da würde ich unterscheiden zwischen der privaten und der öffentlichen Anrufung. Man konnte ja Max Josef Metzger schon vor seiner Seligsprechung anrufen, aber man behielt es klugerweise für sich. Um Allerheiligen herum sage ich gern: Alle denken, Heilige sind super Gottessportler, mit Lorbeerkranz und Harfe. Nein, wenn du den Eindruck hast, dass deine Oma im Himmel ist, dann ist auch sie eine Heilige. Wenn sie beerdigt ist, sie ihr Leben mit Christus gelebt hat und dir nichts einfällt, was dagegen spricht, dann ist sie eine Heilige. Was soll denn mit der Oma sonst passieren? Natürlich, wir katholischen Christen gehen von einer Zeit der Läuterung aus. Aber warum soll die Oma dir nicht helfen? Warum kein „Oma hilf”?
In meiner Nachbarschaft würde ich das allerdings nicht zur Nachahmung empfehlen.
Credo: „Auch Sie, Herr Nachbar, könnten meine Oma anrufen …” (lacht)
Bornhausen: Nicht nach einer erfolgten „Besserung”, sag ich mal vorsichtig. Da sollte man sehr zurückhaltend sein. Zum Schluss kommt einer und sagt, „Du, deine Oma, hör mal …”. Aber wenn die Kirche öffentlich kundtut: Dieser ist aus Glaubenshass gestorben, das Martyrium ist anerkannt, er darf jetzt als Seliger angerufen und um Fürbitte gebeten werden. Dann kann man sich darauf wirklich verlassen.
Credo: Welche Rolle spielt die Beschäftigung mit Heiligen für deine praktische Frömmigkeit?
Bornhausen: Mich rühren solche Lebenszeugen sehr an. Es erhebt die Seele. Es schärft den Sinn für Humor zu sehen, auf welchen krummen Wegen Gott doch gerade schreiben kann. Und es macht sehr realistisch, wenn man sich über die Legende hinaus, mit tieferen biografischen Einsichten beschäftigt. Es ist hoch spannend, weil sich für uns – neben dem Vorbildhaften – immense Welten auftun: Was diese Menschen innerlich erlebt haben, was für unglaubliche Begegnungen sie mit dem Göttlichen hatten. Das prägt auf die Dauer. Das hat mich jetzt nicht frömmer gemacht, aber ich lese manchmal Geschichten, da bekomme ich eine Gänsehaut und finde das wunderschön.