Wenn ich mir diese Frage auch immer mal wieder selbst stelle: „Wer bin ich?“, dann komm ich um weitere Fragen nicht herum. „Was hat mich zu der jungen Frau gemacht, die ich heute bin?“ Sofort denke ich an die Menschen, die mich schon mein ganzes Leben lang begleiten, einzelne Gespräche mit Menschen, die ich zum Teil nur einmal getroffen hab, aber deren Worte mich nicht nur berührt haben, sondern wo diese Begegnung eine Prägung für meinen weiteren Lebens- und manchmal auch Glaubensweg bedeutete. Ebenso wie gute Erfahrungen und Gespräche prägen können, so tun es auch die negativen.
Vielleicht wird sich der eine oder die andere von euch schon gefragt haben, warum dieser Titel? Grenzenlos Ich-sein können, eine herrliche Vorstellung, oder? Wie schnell man aber teilweise Grenzen gesetzt bekommt, will ich euch an einem Beispiel beschreiben:
Ich wollte unbedingt in dieser einen Kanzlei arbeiten, schaffte es im Bewerbungsgespräch zu überzeugen – und wurde in der Probezeit unerwartet gekündigt. Das ist eine äußere Grenze, die mir gesetzt wurde. Meine erste Reaktion war Verzweiflung, weil ich in den vielen Monaten davor viel Zeit und Kraft in meine Bewerbungen investiert hatte. Ich traf mich kurze Zeit später mit einer Vertrauensperson, konnte auch bei ihr so den ersten Schock über diese so neue und schwierige Situation verdauen und ging dann direkt zum Dom. In der Anbetung folgte ein längeres Herzensgespräch – und traf ich eine Entscheidung: Ja, ich darf traurig sein, dass es gerade so ist, wie es ist, aber ich akzeptiere diese Grenze. Das half mir dabei, nicht am Boden liegen zu bleiben, sondern weiter zu gehen, einen Schritt nach dem anderen.
Wie kann ich mich mit meinen Grenzen annehmen?
Die Antwort ist einfach. Fast schon zu einfach. Liebe. Begegne deinen Grenzen mit Liebe. Es bringt nichts, dagegen anzukämpfen. Das habe ich vor allem dann gemerkt, als ich über meine Grenzen hinausgegangen und letztlich gescheitert bin. Ich wollte mir und meinem Umfeld beweisen, dass ich trotz aller Umstände leistungsfähig bin, stärker als das, was min einschränkte. Stattdessen versuche ich nun, Wege zu finden, trotz meiner Grenzen zu wachsen – oder anders ausgedrückt, um meine Grenzen herum zu wachsen. Denn es liegt in meiner Hand, wie ich mit meinen Grenzen umgehe und was ich daraus mache.
Und was hat Gott damit zu tun?
Gott hat dich und mich wunderbar gemacht (Ps 139,14).
Wenn er dich und mich nun wunderbar gemacht hat, warum mutet er uns diese Begrenztheit und Schwachheit zu? Die Antwort, die ich euch aus vielen Stunden des Fragens, Zweifeln und Ringens in meiner Gebetszeit geben kann:
Er lässt mich Mensch sein – und Mensch bleiben. Er weiß um meine Grenzen. Um jene, an die ich stoße und jene, die ich selbst aufstelle – und an denen ich auch immer mal wieder verzweifle. Grenzen, die ich selbst nicht verstehe und bei denen ich ihn immer wieder frage, warum, wozu und wofür nun dieses oder jenes wieder gut sein soll. Ich glaube, wir fragen nach dem „Warum?“, weil wir uns tendenziell mit einer Ursache als Begründung eines Ereignisses leichter tun. Manchmal kann es helfen, aus diesem „Warum?“ ein „Wozu?“ zu machen und doch – für manches im Leben fehlen die Worte, da gibt es keine klare Antwort. Gott aber hält all unsere Fragen aus. Er hält auch unser leidendes Schweigen aus, mehr noch – er begegnet uns in unserem Leid. In all unserer Begrenztheit, unseren Fragen, Hoffnungen, Zweifeln – er ist da.
Diese Gewissheit hilft mir, Grenzen nicht mehr nur als Hindernis oder Ungerechtigkeit zu sehen.