Thema · Von unerhörten Gebeten

Gott, hörst Du (auf) mich?

Wir können Gott um alles bitten. Aber nicht alles geschieht, worum wir beten. Warum eigentlich nicht?

von Pfarrer Dominik Loy · 20.08.2024

Symbolbild: Hört Gott mein Gebet? stock.adobe.com | Polonio Video.

Ein Anruf rief mich auf die Intensivstation. Dort lag eine junge Frau mit schwerer Gehirnblutung ohne Bewusstsein in ihrem Intensivbett. Daneben standen ihre Eltern. Sie habe drei junge Kinder, sagten sie mir, aber die Ärzte hätten noch ein Quäntchen Hoffnung, dass sie wieder aufwacht. Daran klammerten sich die beiden. Ein rascher Blick auf die Displays der Geräte verriet mir, dass es hier aus menschlicher Sicht nichts mehr zu hoffen gab. Doch ich sagte nichts.

Am nächsten Tag kam ich wieder in die Klinik. Sie könnten nichts mehr tun, erklärten die Ärzte. Die Hoffnung der Eltern richtete sich nun auf mich: Er ist Priester, Gottesmann! Gott wird auf ihn hören, wenn er um Heilung bittet! Sein Gebet vermag viel! Ich spürte die Verantwortung auf meinen Schultern, ihre große Hoffnung, die sie in mich setzten. Das taten sie voller gläubigem Vertrauen. Was sollte ich sagen, ohne ihnen falsche Hoffnungen zu machen und ihnen zugleich den Glauben nicht zu nehmen?

„Wissen Sie, ich kann um alles bitten. Aber es wird nur das geschehen, was Gott will, nicht das, was ich mir wünsche“, sagte ich ihnen so ruhig ich konnte.

Glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil.

Immer wieder verspricht Jesus, dass unsere Gebete erhört werden (z. B. Lk 11,5-13) und dass wir erhalten, worum wir bitten (z. B. Mk 11,24). Wir denken seine Bereitschaft, uns zu geben, was wir erbitten, mit seiner Güte und seiner Allmacht zusammen. Gott will uns geben, Gott kann uns geben, also: Gott wird uns geben. Doch die Dinge liegen etwas komplexer. Nicht alles, worum wir bitten, ist wirklich gut für uns – oder andere. Auch wenn Gott allmächtig ist, hat sein Handeln Grenzen. Und schließlich wirkt Gott vor allem innerlich. Doch der Reihe nach.

Schauen wir zuerst auf die Bitten. Gott wird zunächst keine Bitte erfüllen, die wir selber erfüllen können. Gott wird für uns nicht einkaufen gehen oder sauber machen. Okay, das ist trivial. Aber überlegen wir, wie oft wir um Dinge bitten, die in unserem Möglichkeitsbereich liegen, z. B. um Hilfe für andere bitten, obwohl man selber Hilfe leisten kann. Selbst bei den großen Problemen der Welt kann man fragen: Würde es uns Menschen nicht gelingen, gemeinsam etwa den Hunger zu besiegen?

Wenn wir beten, bitten wir in der Regel um Dinge, die uns und anderen guttun, z. B. um schulischen oder beruflichen Erfolg. Aber es kann ja sein, dass ein Misserfolg viel besser für uns ist, weil wir dadurch etwas lernen oder unser Lebensweg einen anderen, günstigeren Verlauf nimmt. Gott ist allwissend, er kann das sehen und schenkt daher nicht immer das Erbetene, sondern das Bessere. Da heißt es Vertrauen haben und Geduld.

Zwischen menschlicher Freiheit und Naturgesetzen

Nun zu Gottes Allmacht. Alles zu können heißt nicht, alles zu tun. So wird Gott nie gegen die Freiheit eines Menschen handeln. Er akzeptiert unsere Entscheidungen, auch, wenn das katastrophale Folgen haben kann, bei einem Mörder beispielsweise. Gott will, dass wir in Freiheit und Verantwortung unser Leben und unsere Welt gestalten, wir sollen keine himmlischen Marionetten sein. Dafür nimmt er in Kauf, dass Menschen diese Freiheit missbrauchen und vieles vom Leid in der Welt verursachen.

Für die Schöpfung gilt ähnliches. Der Kosmos unterliegt den Gesetzen, die Gott ihm gegeben hat (Physik, Chemie usw.). Das bringt es mit sich, dass Dinge geschehen, die sich negativ auf das Leben von Menschen auswirken, wie Naturkatastrophen oder Krankheiten. Gott könnte hier eingreifen, ein Wunder wirken, und manchmal tut er es auch, wovon die Bibel berichtet. Aber wenn Gott ständig durch Wunder eingreifen würde, handelte er immer wieder gegen die von ihm selbst formulierten Naturgesetze.  Das wäre ein andauernder Widerspruch. Die Welt würde für uns dadurch noch weniger verstehbar.

So belässt Gott die Welt weitgehend ihrer äußeren Eigendynamik – der Eigendynamik der Freiheit des Menschen und der Naturgesetze. Ob Leid und Unheil, die dadurch entstehen, seinem Willen entsprechen? Wohl kaum. Aber darüber steht noch sein Wille, die Menschen und die Welt in ihrer eigenen Logik zu lassen, ohne immer wieder äußerlich einzugreifen. Denn natürlich wirkt Gott: im Innern des Menschen. Seine Gnade erfasst Seele, Herz und Denken. Es gibt beeindruckende Beispiele von Menschen, die in äußerlich großem Leid innerlichen Frieden und vielleicht sogar Freude gespürt haben. Die innere Ordnung des Menschen kann von Gnade und heiligem Geist ganz durchwirkt sein. So handelt er – in uns. Trotz seines Wirkens achtet er unsere Freiheit. Dass wir in Freiheit leben, will er unbedingt.

Votivtafel aus Altötting: „Dank hlg. Muttergottes weil du mich 18 Jahre nicht erhört hast. Mir durch die vielen Prüfungen und Täuschungen beten gelernt hast. Rosenheim, 21.5.1939“ Bild: Andreas Miesen

Dein Wille geschehe

In diesem Sinne ist das „dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde“ (Mt 6, 10) des Vaterunsers zu verstehen. Bitten wir Gott um Dinge, die im letzten nicht gut sind, oder die ein Handeln Gottes erfordern, das die äußere Ordnung der Welt (Freiheit, Naturgesetze) nachhaltig durcheinanderwirbelt, entspricht es vielleicht nicht seinem Willen, sie zu erhören.

Diese Einschränkung soll uns aber nicht entmutigen. Die Heilsgeschichte und Glaubenszeugnisse anderer Christen zeigen uns, dass plötzlich Unerwartetes und nicht mehr Gehofftes eintreten kann. Trauen wir uns was! Trauen wir uns, von Gott Dinge zu erbitten, die unmöglich scheinen! Auch wenn Gott diese Gebete nicht so beantwortet, wie wir es wünschen, wird er sie nicht übergehen.

So taten es die Eltern der jungen Frau. Wir haben gemeinsam gebetet, dass sie wieder gesund wird. Dann hat sich unser Beten verändert. Wir hatten verstanden, dass es anders sein soll, dass Gott an diesem Tag nicht auf diese Weise wirken würde. Wir beteten schließlich, dass Gott sie bei der Hand nehme und nach Hause in den Himmel führe. Dass er dieses Gebet erhört hat, glaube ich fest.