Vor ein paar Jahren, während des ersten Corona-Lockdowns, habe ich mich dieser Frage angenommen. Ich habe die Bibel von vorne bis hinten durchgelesen und jede Stelle aufgeschrieben, wo das „Fürchte dich nicht“ vorkommt. Einerseits fand ich es interessant, in welchen Verbindungen das „Fürchte dich nicht“ steht und andererseits ist mir aufgefallen, dass wesentlich öfter von der Gottesfurcht die Rede ist als von „Fürchte dich nicht“. Ich habe mir dann die Frage gestellt, ob diese beiden Dinge wirklich zusammengehen, zusammenpassen: Gottesfurcht und „Fürchte dich nicht“.
Vernünftige vs. irrationale Angst
Warum brauchen wir diesen Zuspruch „Fürchte dich nicht“ überhaupt? Ich würde sagen, es wird immer wieder wichtig, sich das „Fürchte dich nicht“ vor Augen zu führen. In unserem menschlichen Leben gibt es oft Situationen, die uns das Fürchten lehren und die uns unser vermeintliches Sicherheitsgefühl rauben, wie aktuell der Krieg in der Ukraine oder bis vor kurzem das Coronavirus.
Oder es gibt Dinge vor denen wir Angst haben, unbegründete Angst. Oft schüren auch die Medien solche Ängste, weil sie viel mehr negative Nachrichten bringen als positive oder mit ihrer Aufmachung Panik provozieren. Natürlich gibt es auch jene Angst, die uns vor Schaden und gefährlicher Leichtsinnigkeit bewahrt.
Wenn wir von dieser vernünftigen Angst absehen und die irrationale Angst in den Blick nehmen, dann kann uns das „Fürchte dich nicht“ ein ganz besonderes Gefühl der Sicherheit geben.
Angst als Lebenshindernis
Denn Angst hindert uns daran zu wachsen und sie hindert uns daran Neues zu wagen. Vielleicht sogar gerade das Neue, das Gott mit uns vorhat. Jede und jeder einzelne von uns soll sich ja auf das Wagnis mit Gott einlassen. Dazu möchte ich dich ermutigen. Mach Dir zunächst deutlich, was Dir eigentlich Angst macht. Wenn du dem auf den Grund gegangen bist, dann wirst du feststellen, du kannst diese Art der Angst beiseite schieben und einen Schritt oder einen Sprung nach vorne machen.
Korrektiv: Gottesfurcht
Nun aber nochmal zurück zur Gottesfurcht. Wie geht das zusammen, dass die Bibel einerseits von Gottesfurcht spricht, andererseits aber voll ist von „Fürchte dich nicht“-Botschaften? Hier muss uns klar werden, was Gottesfurcht eigentlich genau bedeutet. Sie bezeichnet die rechte Haltung gegenüber Gott und seinem Willen. Man könnte auch von Ehrfurcht sprechen. Sie soll den Menschen dazu motivieren, die Gebote Gottes nicht zu übertreten. Denn es wäre ja auch widersinnig, jemanden zu ermutigen: Fürchte dich nicht, die Gebote Gottes zu übertreten.
Hier kommt also ein Korrektiv hinzu, das hilft, den rechten, geraden, aufrichtigen, wahrhaftigen Weg zu gehen, vor Gott und den Menschen. Gottesfurcht bedeutet nicht haltloses Erschreckt- oder ängstliches Eingeschüchtertsein, sondern sie führt zur Befolgung der Gebote Gottes. Und jetzt kommt es: Sie ist Anfang der Weisheit.
Wie uns die Gottesfurcht hilft
Die Gottesfurcht hat in besonderer Weise tiefsten Respekt vor Gott und seinem Willen für die Menschen und letztlich auch für mein Leben. Eine Stelle aus dem Buch Jesus Sirach möchte ich als Beispiel bringen: „Die Furcht des Herrn ist Ehre und Ruhm, Fröhlichkeit und eine Freudenkrone. Die Furcht des Herrn wird das Herz erfreuen und Frohsinn, Freude und langes Leben geben.“ (Sir 1,11 f.)
Schon bei diesem Zitat wird deutlich, wie positiv die Gottesfurcht besetzt ist und welche positiven Früchte die Gottesfurcht hervorbringt. Die Gottesfurcht steht sogar auf einer Linie mit dem „Fürchte dich nicht“. Auf einer Linie deswegen, weil es helfen soll, Dinge, Ängste und Unsicherheiten beiseite zu schieben, die die Gottesbeziehung gefährden.
Neues wagen ohne Angst
Da verwundert es nicht, dass das „Fürchte dich nicht“ gerade auch dann vorkommt, wenn etwas Neues beginnt. Es trifft zu, wenn große Gestalten der Bibel in ein neues Land ziehen und sie unsicher sind, ob etwas klappen kann. Zum Beispiel, als Jakob nach Ägypten zu seinem Sohn Josef übersiedelt, steht im Buch Genesis: „Gott sprach: Ich bin Gott, der Gott deines Vaters. Fürchte dich nicht nach Ägypten hinabzuziehen; denn zu einem großen Volk mache ich dich dort.“ (Gen 46,3)
Wenn etwas Neues beginnen kann oder soll, fürchte dich nicht, es anzupacken. Selbst wenn etwas nicht gelingen sollte, was kann schon passieren. Natürlich muss auch realistisch überlegt werden, ob es möglich ist. Es müssen Argumente gesammelt und ausgetauscht werden. Das „Fürchte dich nicht“ deckt natürlich nicht irgendwelche utopischen Vorstellungen ab, aber hilft, wieder einmal in etwas Neues zu springen.
Wie oft steht „Fürchte dich nicht“ in der Bibel?
Jetzt ist noch die Frage offen, wie oft das „Fürchte dich nicht“ in der Bibel steht. Vielleicht noch vorab: Stellen bezüglich Gottesfurcht habe ich 266 gezählt. Die Stellen mit „Fürchte dich nicht“ waren nach meiner Zählung 124. Du kannst es gerne überprüfen und nachzählen, auf welche Anzahl du kommst. Es ist gut, wenn du dir das „Fürchte dich nicht“ als grundsätzliche Haltung aneignen kannst, besonders auch jetzt zu Zeiten des Kriegs in Europa, der Inflation oder des Klimawandels, wenn wir uns besonders nach Sicherheit sehnen. Da bröckelt so manche materielle Sicherheit weg, die für uns Halt war.
Wir können nicht immer alles verändern wie wir wollen. Die Inflation und die Energiekrise drücken uns einige Situationen auf, die wir so nicht gewählt haben. Auch in diese Situationen hinein kann man sich das „Fürchte dich nicht“ sprechen und im Gebet sich zueigen machen. Gläubige sind von den Krisen genauso getroffen, aber sie haben diesen immateriellen Halt in Gott. Sie wissen mit Gott geht es weiter und der Sinn des Lebens besteht nicht darin, möglichst materiell abgesichert zu sein. Der Sinn des Lebens geht über das Materielle hinaus und in einer Sache bin ich mir sicher: Gott ist an deiner Seite, egal was kommt.
Anmerkung der Redaktion: Die ursprüngliche Version dieses Textes wurde im Dezember 2020 auf Credo veröffentlicht.