Schon bei ihrem ersten Date mit Daniel ist sich Perla Kluge sicher: Das wird mein Ehemann! Und auch für Daniel ist die Sache ziemlich schnell eindeutig. Als er den großen Schritt wagt und ihr die Frage aller Fragen stellt, sind die beiden gerade mal einen Monat zusammen. Sie sagte „ja“ und heute – acht Jahre später – sind die beiden glücklich verheiratet und erwarten ihr viertes Kind.
Die Geschichte des jungen Ehepaars entspricht allerdings so gar nicht dem, was momentan in der Datingszene angesagt ist. Glaubt man führenden Frauen- und Lifestylezeitschriften bevorzugen junge Menschen der sogenannten Generation Z (Jahrgänge 1995-2009) Beziehungen, die nicht als solche definiert sind.
Man will sich nicht festlegen, was den Status angeht. Es sind Beziehungen für den Moment. Daher der Name „Situationship“. Eine Art Probezeit ohne Verpflichtungen, ohne Verbindlichkeit – aber eben auch ohne die Sicherheit einer stabilen Partnerschaft.
Sehnsucht nach Vertrauen und Geborgenheit
Dabei sehnen sich gerade junge Menschen nach sicheren Bindungen, so geht aus zahlreichen Jugendstudien hervor. Eine der repräsentativsten, die Shell Jugendstudie, gibt an, dass sich 94 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren eine vertrauensvolle Partnerschaft wünschen. Diese Tendenz bestätigt auch die Referentin für werteorientierte Sexualpädagogik im Bischöflichen Jugendamt. In höheren Schulklassen gibt sie Workshops zum Thema „Liebe & mehr“.
Während der Einheit, die sich mit den Beziehungswünschen der Jugendlichen auseinandersetzt, kristallisieren sich immer wieder dieselben klassischen Ideale heraus, berichtet sie. „Klassische Werte wie Vertrauen, Treue, Ehrlichkeit und Kommunikation stehen immer ganz oben auf der Wunschliste.“ Begriffe, die bei der Recherche zum Thema „Situationship“ eher selten auftauchen. „Für mich ein starkes Indiz dafür, dass diese offenen Beziehungskonzepte nicht unseren tiefsten Sehnsüchten entsprechen“, folgert sie daraus.
Keine Macht den Illusionen
Warum sich junge Menschen dennoch immer wieder in solche unverbindlichen Geschichten stürzen, erklärt sich die Referentin durch die mangelnde Unterscheidung zwischen wahrer Liebe und romantischer Illusion. „Oft stecken hinter diesen Trends eine falsche Erwartung oder Enttäuschungen aus der Vergangenheit. Man kennt die Lovestories aus den Filmen und weiß gleichzeitig, dass solche Beziehungen total unrealistisch sind.
Anstatt sich einzugestehen, dass stabile Beziehungen auch Investment und Opferbereitschaft fordern, wird versucht, die Sehnsucht nach Geborgenheit und Nähe über lockere Beziehungsformen zu bedienen.“ Die tieferen Sehnsüchte nach totaler Annahme und Zusage würden in einer Situationship allerdings nur bedingt gestillt. Schließlich wisse man nie so richtig, woran man eigentlich ist.
Ein klares Nein zur Probezeit
Eine klare Entscheidung sieht anders aus und bedeutet gleichzeitig ein Absagen an andere Optionen. Dessen waren sich Perla und Daniel Kluge sehr bewusst, als sie es wagten, ganz „ja“ zueinander zu sagen. „Nachdem ich mit sechzehn mehrere offene Beziehungen hatte und mich danach innerlich so schmutzig und leer fühlte, habe ich mir geschworen, der nächste Mann, den ich date, wird mein Ehemann“, erzählt Perla im Gespräch mit Credo. „Und dann kam auch schon Daniel und ich wusste es einfach.“
Auch Daniel hatte seine wilden Jahre als „Hallodri“ bereits hinter sich, als er sich in Perla verliebte. „Bevor ich sie kennengelernt habe, wollte ich eigentlich schon nix mehr von Frauen wissen und spielte sogar mit dem Gedanken, Priester zu werden.“ Doch das erste Date mit Perla änderte alles. „So was hatte ich noch nie erlebt. Ich konnte diese Entscheidung für ein Leben mit ihr so eindeutig und klar in meinem Herzen treffen und wusste, ich geh all in!“.
Beide sind vergleichsweise jung, als sie den Aufbruch in die Ehe wagen. Perla ist damals 21, Daniel 28 Jahre alt. Ein Alter, in dem sich statistisch gesehen nur die Wenigsten festlegen wollen. Man möchte schließlich noch was erleben, bevor man sich für immer an eine Person bindet.
Mut zur Verbindlichkeit und gemeinsamen Abenteuern
Daniel und Perla sehen das ganz anders: „Viele denken, dass man ankommt, wenn man geheiratet hat. Vergiss es! Da geht’s erst richtig los!“. Perla erläutert das genauer: „Ehe ist ganz schön aufregend. Neues gemeinsames Zuhause, dann kommen die Kinder und man ist plötzlich nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich.“
Das fordert nicht nur sehr viel Mut, sondern auch die Bereitschaft, für den Partner alles zu geben und gleichzeitig alles von ihm anzunehmen.„Man wird konfrontiert mit den schlimmsten Eigenschaften und Fehlern des anderen, kann sich selbst aber auch genauso zeigen, wie man wirklich ist. Sogar die schmutzigsten Ecken, wo man nicht so gerne hinsehen möchte. Das geht eigentlich nur in einer Ehe.“
Klar sei das mitunter auch nervig und tue weh, geben die beiden zu. „Aber nur so kann die Ehe funktionieren.“ Und mit einem stabilen Fundament, welches für das Ehepaar, eindeutig Gott ist. „Wenn wir das nicht hätten“, ist sich Daniel sicher, „wie oft hätten wir uns da schon getrennt, bei all den Versuchungen.“
Der Reiz der andauernden Probezeit
Letztlich seien es genau diese Versuchungen, die den Reiz einer „Situationship“ ausmachen, vermutet auch die Referentin für werteorientierte Sexualpädagogik. „Das vermeintlich Tolle daran ist, dass man nie über diese prickelnde Anfangs- und Kennenlernphase hinauskommt und sich somit auch nie wirklich mit den Schwächen des anderen auseinandersetzen muss.“
Bevor es zu ernst wird, wird einfach die Reißleine gezogen, womit beide Seiten selbstverständlich auch einverstanden sind. Soweit die Idealvorstellung. Was allerdings so attraktiv klingt, werde vor allem dann kompliziert, wenn sexuelle und körperliche Nähe ins Spiel kommen.
„Durch die Ausschüttung des Hormons Oxytozin entsteht schon rein biologisch gesehen eine emotionale Bindung.“ Und damit eng verbunden der Wunsch nach ganzheitlicher Annahme. Auch oder gerade dann, wenn es mal schwierig wird.
Oder ins Katholische übersetzt: In guten wie in schlechten Zeiten. Das kann selbst die beste Situationship nicht garantieren. Die Ehe oder eine darauf ausgelegte Beziehung schon.