Thema · Angst

Corona und der innere Feind

Das Corona-Virus ist nicht nur eine physische Bedrohung.  Zu der realen, objektiven Gefahr von außen durch den Erreger kommt auch eine wachsende Gefahr von innen. Nämlich durch die Angst, die die Pandemie in uns auslöst. Dabei ist es schwer zu unterscheiden, welche dieser beiden Gefahrenquellen für uns und unser Zusammenleben gefährlicher ist.

von Manuel Beege · 06.05.2020

Mit Corona dem inneren Feind begegnen
Was macht Corona eigentlich mit unserer Psyche? (Foto: Antonino Visalli/Unsplash)

Hast du dir schon einmal den Kopf an einem offenen Küchenschränkchen gestoßen und daraufhin im Schmerz die Türe wütend zugeknallt? Oder den Finger in einer Tür eingeklemmt und sie daraufhin zornig zugetreten? Eine Situation, wie sie wahrscheinlich jeder von uns auf die eine oder andere Weise schon einmal erlebt hat. 

Es ist schon verwunderlich, dass wir diese leblosen Gegenstände dann behandeln, als seien die verantwortlich für unseren Schmerz, ja als hätten sie uns absichtlich Schmerz zugefügt. Dabei wissen wir doch ganz genau, dass ein Küchenschränkchen oder eine Tür zu solchen Dingen nicht fähig ist. Warum aber lassen wir unsere Wut dann doch an ihnen aus? Die Antwort könnte simpler nicht sein: Weil wir uns dann besser fühlen. Der Schmerz, den wir durch das Anschlagen unseres Kopfes oder das Einklemmen unserer Finger erleben, geht ganz unmittelbar mit Stress einher. Ein spontaner psychischer Stress.

Unser psychisches Immunsystem ist auf solche kurzfristigen Überforderungen vorbereitet und sorgt dafür, dass wir diesen Stress wieder los werden. Das geschieht am einfachsten, wenn wir unser inneres Erleben nach außen übertragen können. Der menschliche Geist verwandelt diesen Stress daher gerne in Wut. Wir suchen einen Schuldigen – und finden ihn in der Regel auch, selbst wenn es die unschuldige Tür eines Küchenschränkchens ist.

Es ist viel einfacher, uns mit etwas auseinanderzusetzen, das wir sehen

Aber warum fühlen wir uns besser, wenn wir den „Schuldigen“ bestraft haben? Warum neigen wir dazu Stress abzubauen, indem wir ihn auf etwas oder jemanden in unserer Umwelt übertragen? Auch hier ist die Antwort denkbar einfach: Es ist viel einfacher, sich mit etwas oder jemandem auseinanderzusetzen, das wir sehen, als mit etwas, das wir nicht richtig fassen können. Ein konkretes Gegenüber erleichtert uns die Interaktion. Dies vermittelt uns, dass es etwas außerhalb meiner selbst ist, mit dem ich es zu tun habe. Und weil das so ist, hat es nicht mehr unmittelbar etwas mit uns zu tun. Wir verlagern so den Stress von innen nach außen. 

Je besser wir unsere Angst kennen, desto besser können wir mit ihr umgehen

Das gleiche geschieht aber nicht nur bei Schmerzen. Viele Arten von Stress können auf diese Weise von innen nach außen verlagert werden. Von allen Arten des psychischen Stresses ist Angst sicherlich eine der stärksten. Sie begleitet uns unser ganzes Leben lang. Wir haben Angst vor den unterschiedlichsten Dingen. Manchmal sind es ganz konkrete Dinge, wie etwa die Angst vor Hunden. Manchmal, ja meistens, sind es aber Dinge, die man nicht an einem Objekt festmachen kann. Etwa die Angst vor der Zukunft, finanzielle Sorgen, die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren und viele andere Dinge. Angst ist in unserem Leben allgegenwärtig. Je besser wir unsere Angst kennen und je mehr wir sie an äußeren Dingen festmachen können, desto besser gelingt es uns, damit umzugehen. Je unsichtbarer die Angst jedoch ist, desto schwieriger ist es, sie zu beherrschen. 

Die Angst vor einem unsichtbaren Feind

Noch komplizierter wird es, wenn mehrere Dinge zusammenkommen. Der Corona-Virus, unter dem wir gerade aktuelle leiden, ist beispielsweise ein solcher für uns unsichtbarer Feind. Dabei ist er an sich klar als Objekt zu fassen, zwar nicht mit dem Auge, so doch im Labor. Forscher überall auf der Welt sind gerade damit beschäftigt, Wirkstoffe zu suchen, die diesen winzig kleinen Virus unschädlich machen können. Doch unser alltägliches Problem ist nicht DER Corona-Virus. Unsere Sorge ist vielmehr die Angst, an Corona zu erkranken oder unsere Mitmenschen zu gefährden, also die Angst vor der Pandemie und ihren Folgen. Kurzum, es ist eine Angst vor einem noch unsichtbareren Feind, als dem kleinen Virus selbst.

Sorgen
Mit der gesundheitlichen Bedrohung durch das Virus wachsen auch die Sorgen. (Foto: Juliet Furst/Unsplash)

Zu der realen, objektiven Gefahr von außen durch den Erreger, kommt also auch hier eine latente und stetig wachsende Gefahr von innen, nämlich durch die Angst, die die Pandemie in uns auslöst. Dabei ist es schwer zu unterscheiden, welche dieser beiden Gefahrenquellen für uns und unser Zusammenleben gefährlicher ist.

Wie gehen wir mit diesem wachsenden Stress verantwortungsvoll um?

Man sagt, in der Krise tritt der wahre Charakter eines Menschen zu Tage. In dieser Aussage mag viel Wahres stecken. Doch geht es dabei nicht nur darum, ob jemand sich in der Krise nur um sich selbst kümmert, oder auch andere im Blick hat, sondern es geht auch um die Frage, ob jemand in der Lage ist, mit dem langsam wachsenden Stress in einem selbst in einer reifen und verantwortungsvollen Weise umzugehen oder ob er dazu neigt, diesen Stress möglichst schnell aus sich heraus zu schaffen, um sich besser zu fühlen, ohne Rücksicht darauf, auf wen sich diese Umwandlung von innen nach außen richtet.

In der Zeitung war vor kurzem zu lesen, dass in einer typischen deutschen Tourismusregion Menschen die Autoreifen von Fahrzeugen zerstochen haben, weil diese kein örtliches Kennzeichen trugen, aus Wut, dass diese Menschen nicht zu Hause bleiben und die unsichtbare Gefahr in ihren Ort tragen. Was hier passiert ist, unterscheidet sich in keiner Weise von dem eingangs beschrieben Beispiel des Küchenschränkchens. Mag sein, dass hier tatsächlich jemand mit seinem Auto unterwegs war, der besser zu Hause geblieben wäre. Doch der Punkt ist, man weiß es nicht. Ebenso wie bei der leblosen und daher nicht schuldfähigen Tür eines Küchenschränkchens ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass hier ein unschuldiger bestraft wurde, der vielleicht mit einem Geschäftswagen unterwegs war.

Wenn sich die Angst auf unsere Umwelt überträgt

Aber auch wenn wir von solchen offenkundigen Aktionen von strafbarem Vandalismus absehen, drängt sich doch die Frage auf, wie sich die Angst, die wir alle in uns tragen auf unsere Umwelt überträgt? Bin ich vielleicht reizbarer als sonst? Hat sich mein Blick auf meine Mitmenschen und vielleicht auch auf mich selbst verändert? Reagiere ich manchmal übertrieben? Lasse ich mich mitreißen von verschiedenen Formen von Kritik etwa an der Politik, die unsere Freiheit in dieser schwierigen Zeit beschneidet?

"Fürchte dich nicht!" - Immer wieder lesen wir diese Botschaft in der Bibel. (Filippo Ruffini/Unsplash)

Auf diese und viele andere Arten können unsere innere Angst und der mit ihr verbundene Stress eine sehr ungute und ungesunde Form annehmen, unter der letztlich wir selbst und unsere Umwelt leiden. Die Corona-Krise kann für uns also auch ein Anlass sein, uns nicht nur mit der Gefahr einer Infektion auseinanderzusetzen, sondern auch den Blick auf uns selbst zu richten.

Benenne deine Angst

Doch wie können wir mit dieser latenten Angst umgehen, wenn der direkte Weg nach außen in eine vermutlich unheilvolle Richtung weist? Der erste Schritt kann sein, das Kind beim Namen zu nennen, sich selbst bewusst zu machen und auch einzugestehen, dass man Angst hat. Indem wir Dinge benennen, können wir sie zwar noch nicht in die Hand nehmen, aber sie sind dann schon nicht mehr ganz so unsichtbar. Was wir benennen können, wird dadurch konkreter. Das macht es uns leichter, uns damit auseinanderzusetzen, da das, was wir bei seinem Namen nennen uns auf gewisse Weise schon gegenüber steht und damit weniger in uns verborgen ist.

Sprich mit jemandem über deine Ängste und Sorgen

Der nächste Schritt könnte darin bestehen, die eigenen Gefühle mit anderen zu teilen und dabei festzustellen, dass es anderen genauso geht wie mir. Indem wir über unsere Sorgen und Ängste sprechen erkennen wir nicht nur, dass wir nicht alleine sind, sondern es fällt auch leichter, an Lösungen zu arbeiten, um zu verhindern, dass die Angst die Oberhand gewinnt. Schließlich ist es auch ratsam, sich Mut zusprechen zu lassen, von den Experten, die uns über die tatsächliche Gefahr von außen informieren, aber auch von jenen, die sich direkt an unsere inneren Dämonen wenden.

Ein „Fürchte dich nicht!“ für jeden Tag

Ich habe gelesen, dass in der heiligen Schrift 365 Mal gesagt wird: „Fürchte dich nicht“, also für jeden Tag im Jahr einmal. Ich habe es nicht nachgezählt und die genaue Anzahl ist auch nicht wichtig. Bedeutend ist, dass die Botschaft der Heiligen Schrift uns gezielt auf unsere Ängste anspricht und uns klar macht, dass auf dem Fundament des Glaubens jede noch so reale, begründete und unmittelbare Angst an Gewicht verliert und der Glaube nicht nur Trost und Hoffnung für die Zukunft bereithält, sondern uns Perspektiven aufzeigt, wie wir heute, auch währen der Corona-Pandemie, fröhlich und zuversichtlich sein dürfen und unsere Leben auf diesem tragfähigen Fundament gestalten können.