Vor Ort · Identität in den Social Media

„Das ist nicht wirklich unser Leben“

Mit katholischem Content haben Lucia und Ania auf Instagram im letzten Jahr mehrere hundert Menschen erreicht. Obwohl ihre Followerzahlen anstiegen, zogen sich die beiden immer mehr aus ihrem Blog zurück. Wir haben mit ihnen über die Gründe gesprochen und nachgefragt, inwieweit das Schaffen von Identitäten und Scheinidentitäten in den Social Media zu dieser Entscheidung beigetragen hat.

von Simone Zwikirsch · 03.11.2020

Lucia und Ania im Credo-Interview. (Foto: Simone Zwikirsch)

Als wir uns vor knapp einem Jahr unterhielten, habt ihr gerade euren Instagram-Account @luciania_aux gestartet. Und ihr wart dort ziemlich aktiv. In letzter Zeit ist es auf eurem Account sehr ruhig geworden. Was ist passiert?

Lucia: Ich habe durch unsere Insta-Aktivität einfach sehr viel Zeit am Smartphone verbracht und mir ist es immer schwerer gefallen, das Handy mal eine Weile zur Seite zu legen. Deshalb habe ich in der Fastenzeit komplett auf Instagram verzichtet und mir hat es überhaupt nicht gefehlt.

Ania: Während unserer gesamten Instagramzeit gab es immer mal wieder Phasen, in denen ich den Sinn des Ganzen sehr hinterfragt habe. luciania_aux sollte ja ein persönlicher Blog sein, aber ich habe immer öfter durch die Beiträge und Highlights gescrollt und mir gedacht, das ist nicht wirklich mein Leben. Das ist das Gute, das Spannende aus meinem Leben, aber es ist nicht mein Leben, weil die negativen Aspekte fehlen. Das war für mich nicht authentisch – entweder ich zeige Positives und Negatives oder ich lass es bleiben. Und weil ich meine Downs nicht öffentlich teilen möchte, war für mich klar, dass ich den Account so nicht weitermachen will.

Nach der Fastenzeit kam die erste Corona-Welle. Hatte diese verrückte Zeit auch Auswirkungen auf euren Entschluss, mit Instagram aufzuhören?

Lucia: Für mich persönlich war die Zeit um Corona eine sehr herausfordernde, während der ich auch nichts aus meinem Leben posten wollte. Ich wollte nicht mit allen Menschen teilen, dass es mir gerade beschissen geht. Das geht einfach auch keinen etwas an. Wenn ich in dieser Zeit etwas gepostet hätte, wäre es nicht echt gewesen.  Und auch bei Ania war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, wie es auf Insta vielleicht rübergekommen wäre. Wir wollten nicht, dass die Leute denken, wir führen das perfekte Leben. Das ist aber gar nicht so.

Glaubt ihr, eure Follower würde es stören, dass ihr nicht alles von euch preisgeben wollt?

Lucia: Das Problem ist eher, dass es uns extrem gestört hat. Weil wir wissen, es kommt ein verzerrtes Bild von uns rüber und wir tragen dazu bei, dass bei Insta noch mehr falsche Bilder gezeigt werden.

Ania: Ich merke schon immer mehr, dass Realität auf Instagram extrem an Wichtigkeit gewinnt. Zum Beispiel, dass immer häufiger Fotos ohne Filter gepostet werden, unreine Haut gezeigt wird und Probleme in den Vordergrund gestellt werden. Das ist schon ein Trend auf Insta, nur muss man das eben wollen.

Virtuelle Persönlichkeit oder wahre Identität? Auf Instagram findet man beides ... (Foto: privat)

Inwieweit kann eine virtuelle Persönlichkeit die reale Identität einer Person widerspiegeln?

Ania: Meine virtuelle Persönlichkeit ist auf jeden Fall Teil meiner Identität. Wenn ich zum Beispiel Leute getroffen hab, die mich nur über Social Media kannten, haben sie schon gesagt, dass sie sich mich so vorgestellt haben. Aber das ist dann trotzdem nur ein Teil meiner Identität, der auch bei jedem anders ankommt.

Lucia: Ich denke, es kommt auch auf die Intention der jeweiligen Person an. Es gibt Instagrammer, die es schaffen, in den Social Media einigermaßen real rüberzukommen. Ich weiß aber nicht, ob man sich in dieser Welt nicht zwangsläufig eine virtuelle Identität kreiert. Ich habe es jedenfalls nicht geschafft, das ganz zu vermeiden.

Es besteht also schon die Gefahr, sich selbst zu verbiegen, um seine Follower zufrieden zu stellen?

Ania: Also verstellt haben wir uns nie. Paradoxerweise haben wir viele Stories sogar mehrmals aufgenommen, damit es echter wirkt. Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber in Insta-Stories kommen Dinge oft abgeflachter rüber, als man es eigentlich möchte. Eine realistische Darstellung – das geht auf Insta nicht bis ins kleinste Detail.

Habt ihr das Gefühl, eure Follower dabei unterstützen zu können, in ihrer Identität zu wachsen?

Ania: Ich glaube eher, dass sich Leute vielleicht weniger allein gefühlt haben. Wenn ich zum Beispiel jemanden auf Instagram sehe, der auch gläubig ist und einen ähnlichen Tagesplan, ähnliche Probleme und ähnliche Gedanken hat, weiß ich, ich bin nicht allein auf dieser Welt mit diesen Gedanken.

Aber macht man sich dann nicht selbst etwas vor? Das sind dann ja eher einseitige Beziehungen…

Ania: Auch das war ein Problem, das wir immer stärker wahrgenommen haben. Auf Insta fehlt einfach das Zwischenmenschliche. Klar, die Leute haben uns auch Privatnachrichten geschrieben, aber es bleibt immer irgendwie anonym, weil man die Menschen nicht direkt vor sich hat.

Lucia: Wir haben uns natürlich gefreut, wenn unsere Follower mit uns in Kontakt getreten sind und wir Fragen beantworten konnten. Aber wer sagt, dass das nicht auch im Reallife möglich ist? Vielleicht nicht mit denselben Leuten, die uns online abonnieren. Aber Gespräche über den Glauben können wir genauso gut mit den Basicals und in unserem privaten Umfeld führen.

Also wieder zurück zu den guten alten Reallife-Begegnungen?

Ania: Für manche ist dieses Social Media-Ding genau das Richtige, um Leute zu erreichen, das Evangelium zu verkünden oder gute Werte zu verbreiten – wir haben festgestellt, unser Ding ist es nicht und das ist auch ok.

Lucia: Man hat vielleicht das Gefühl, dass man in persönlichen Gesprächen über den Glauben nicht so viele Menschen erreicht wie über Social Media. Aber es reicht ja schon, wenn man in einer Kleingruppe eine Handvoll Personen erreicht, denen es wirklich was bringt. In persönlichen Begegnungen kann man sein Gegenüber viel tiefer berühren, offener sein und mehr von sich preisgeben. Und das  bringt im Endeffekt oft mehr, als wenn man alles oberflächlicher mit vielen Leuten teilt.

Nur die positiven, schönen Bilder zeigen – für Lucia und Ania fühlte sich das nicht richtig an. (Foto: luciania_aux/Instagram)

Könnt ihr inzwischen eigentlich besser beurteilen, ob ein Influencer authentisch oder fake ist?

Lucia: Ich merk immer mehr, wie fake das alles ist. Vor allem bei Menschen, die viel unnötigen Content posten. Klar macht es Spaß, das anzuschauen. Aber man versinkt einfach total schnell in dieser Scheinwelt und schaut sich nur noch das Leben von anderen an.

Ania: Ich schau inzwischen auch viel unlieber Stories an, weil ich die Story seh und mir vorstelle, wie die Person auf der Couch sitzt und sich filmt und die Mutter kocht im Hintergrund. Kennt ihr das? Und ich denk mir immer so – Warum? Lass doch die Mutter kochen, lieg doch auf der Couch, aber film dich nicht dabei. Es reicht doch, wenn man bestimmte Moment einfach nur erlebt. Und nur, weil ich es filme und poste, wird es ja nicht echter. Ich finde es einfach so unglaublich schade – und das ist mir während meiner Insta-Zeit extrem aufgefallen,  dass in den wichtigsten Momenten im Leben alle nur noch mit dem Handy da stehen und filmen, anstatt sich einfach auf das Ereignis zu konzentrieren.

Bereut ihr, dass ihr mit Luciania Teil dieser Insta-Welt wart?

Ania: Es war den Versuch wert und wir bereuen es auch nicht. Wir haben auch beide gesagt, dass das nicht unbedingt ein endgültiger Schlussstrich sein muss. Wenn wir mal wieder eine coole Idee haben, wie wir das in einer Form umsetzten können, mit der wir uns wohlfühlen, dann sind wir auch offen, wieder damit anzufangen. Aber im Moment erstmal nicht.

Lucia und Ania wollen auch weiterhin von ihrem Glauben erzählen – nur eben offline, zum Beispiel im Basical. (Foto: Simone Zwikirsch)