Thema · Gebet im ökumenischen Kontext

Sprengstoff Rosenkranz

Vor wenigen Wochen war ich sehr überrascht zu lesen, dass sich eine bekannte freikirchliche Influencerin dazu bekannte, gelegentlich den Rosenkranz zu beten. Gerade die Frage des Rosenkranzes ist plakativ und birgt Sprengstoff, weil ihn zu beten die protestantische Theologie und Identität hart herausfordert. Wackeln die konfessionellen Abgrenzungen in der frommen Social-Media-Blase? Ein Plädoyer für das Rosenkranzgebet und ein behutsames Festhalten an katholischer Identität.

von Raphael Schadt · 18.10.2024

Symbolbild: Olga Mukashev, stock.adobe.com

In meiner Biographie haben verschiedene ökumenische Gruppierungen immer wieder eine große Rolle gespielt. Dabei ist mir aufgefallen, dass in ökumenischen Settings die gemeinsamen Gebetsformen zumeist auf einen kleineren gemeinsamen Nenner reduziert werden. Konkret lässt zumeist der katholische Teil der Gemeinschaft jene Aspekte aus, die nichtkatholischen Teilnehmern problematisch erscheinen. Liturgisches und alles was Marien- oder Heiligenverehrung anbelangt fällt weg. Übrig bleiben biblische Gebete und Psalmen, oft im Gewand heutiger Lobpreismusik.

Rückblickend beobachte ich aber auch, dass je mehr sich meine religiöse Praxis in ökumenischen Settings abspielte, auch das Rosenkranzgebet aus meiner privaten religiösen Praxis schwand. Ob wir wollen oder nicht, wir passen uns unserer Umwelt an. Vielleicht nicht von heute auf morgen, aber durchaus über die Jahre. Und ich stelle fest, dass Katholiken, deren Glaube maßgeblich in ökumenischen Kreisen gewachsen ist, sich mit Maria ebenso schwer tun, wie ihre protestantischen Geschwister. Obwohl sie nominell Katholiken sind.

Was ist das Problem mit dem Rosenkranz?

Die katholische Marienverehrung und noch mehr die AnRUFung Mariens, wird gerade in missionarischen Freikirchen, oft als MarienanBETung oder als Totenbeschwörung gedeutet. Damit wäre das Rosenkranzgebet ein klarer Verstoß gegen die biblischen Gebote, keine Götter neben Jaweh zu haben, bzw. keine Toten zu beschwören. Weniger offensive Argumentationen fragen: Warum zu einer vermittelnden Instanz beten, wenn man sich durch Christus, den einen Mittler, direkt an den Vater wenden kann?

Mir geht es hier allerdings nicht darum, argumentativ katholische Heiligen- und Marienverehrung zu verteidigen – Argumente dafür gibt es etwa hier und hier – komplexe philosophische Argumente ziehen heute sowieso kaum noch und viele orientieren sich nurmehr nach gefühlter Authentizität der Vertreter verschiedenster Ideen. Mich interessiert in unserer zerrissenen Zeit, was hilfreich ist. Welche Gebetsform ist für mich dienlich, heilsam etc. und für meine Gebetsgemeinschaft?

Historische Traumata und das Abschneiden von Identität

Dem reformatorischen Impuls liegt die Sehnsucht zugrunde, Nähe zu Gott wiederherzustellen und Leben zu ermöglichen, wo dies bedroht war im Angesicht von Ablasshandel, ungesunder Bußpraxis und weiterer dysfunktionaler Machtstrukturen. Mit ihrem Befreiungsschlag kippt die Reformation mit dem Badewasser potenziell allerdings sehr viel Kind aus. Ihre Prinzipien sola scriptura, sola gratia, sola fide werfen z.B. weite Teile der Theologie der Kirchenväter, aus den ersten christlichen Jahrhunderten über Bord.

Ich erlaube mir die Analogie zum psychologischen Trauma: Traumatisierte spalten infolge ihres Traumas Teile ihrer Identität ab, um weiterhin lebensfähig zu bleiben. Schlimme Erinnerungen, etwa bei Unfällen oder Missbrauch, werden verdrängt, Persönlichkeitsanteile werden ggf. abgespalten, damit ein Weiterleben möglich ist. Bei Traumatisierten sind Argumente, dass die traumatische Lebensgefahr nicht mehr gegeben und daher etwa Vermeidungsverhalten heute nicht mehr angepasst sondern schädlich sei, nicht hilfreich bzw. zielführend. Die Wahrheit, die laut Christus frei macht, kann für Traumatisierte lebensbedrohlich erscheinen. Es braucht eben Therapie.

Ist also Marienverehrung ausgeschüttetes Badewasser oder Kind? Sind die verworfenen Traditionen alter, wertloser Ballast oder lebendige Anteile der christlichen Identität, die nur um des Überlebens willen abgespalten werden mussten? Für beides gibt es Argumente. Aber die Frage ist: Wie bedrohlich ist die Antwort für wen und was? Es steht eventuell viel auf dem Spiel. Wieviel Leben verpasse ich durch mein Vermeidungsverhalten? Was braucht es, um auf einen heilsamen Weg zu kommen?

Zwischen Konfessionen, Gruppen etc. gibt es keine psychologische Therapie und keine „neutralen“ Therapeuten. Es gibt aber Menschen, die Brücken bauen. Und viele sind in der Ökumene bereits gebaut worden. Und es gibt Menschen, die überzeugen, die andere anziehen und heilsam wirken. Friedensstifter, sagen die Seligpreisungen. Viele von ihnen, die heilsam in der Kirche gewirkt haben, als sie von Sünde verwundet und entstellt war, wie etwa Franz von Assisi, nennt die Kirche Heilige.

Meine Entscheidung – den Rosenkranz trotzdem beten

Nach meinem letzten Jobwechsel von einem ökumenischen Werk zu Credo, habe ich das Rosenkranzgebet wieder aufgegriffen. Gerade, weil es ein so einfaches Gebet ist. Man muss sich keine besonderen Formulierungen aus den Fingern saugen, braucht kein Instrument, sondern kann in der schlichten Ruhe der Wiederholung, mit Maria auf Christus schauen und darin Trost und Frieden finden.

Viele Heilige schätzen das Rosenkranzgebet als mächtiges Gebet. Ich selbst habe es für mich als sehr heilsam und auch als therapeutisch erfahren. (Obgleich das nicht der erste Grund das Gebet sein sollte.) Insofern glaube und hoffe ich, dass das Rosenkranzgebet dazu beiträgt, dass ich in der Betrachtung Christi selbst heil werde und zu einem Menschen werde, der Brücken baut und heilsam wirkt. Schließlich freut es mich zu sehen, dass in der frommen Social-Media-Bubble ökumenische Brücken gebaut werden und Beziehungen bestehen, die es ermöglichen, dass eine freikirchliche Influencerin das Rosenkranzgebet ausprobiert.

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