Credo: Paul, wie hast du als junger Christ deinen Bezug zu Gott aufgebaut? Was war da deine Gebetspraxis?
Paul Metzlaff: Über eine Jugendarbeit der charismatischen Erneuerung konnte ich das persönliche Beten kennenlernen. Also ich habe aus der Bibel gelesen, bisschen Stille gehalten. Mit Lobpreis habe ich es nicht so. Meine Sangeskünste entsprechen etwa dem Troubadour bei Asterix und Obelix. Das betrachtende, stille Gebet war schon immer meins und entspricht auch meinem Wesen.
Als ich zum Zivildienst in Rom war, im Benediktinerkloster in San Anselmo, gab mir ein Mönch ein Buch über die Mönchsväter – Mönche in den ersten Jahrhunderten nach Christus – von Evagrius Ponticus, einem dieser Wüstenväter. Darin beschreibt er deren Gebetsweisen und den Austausch, der beim Beten stattfindet. Das war mein erster Kontakt mit den Wüstenvätern. Später kam Johannes Cassian mit dem Ruhegebet dazu.
Credo: Was genau ist das Ruhegebet?
Metzlaff: Dort es geht darum, dass wir von uns selbst, von aller Geschäftigkeit, von allem Tun zurücktreten. Es ist eine Reduktion von allem Unwesentlichen, von dem was wir machen, wo wir leisten, wo wir denken. Im Ruhegebet betest du ein Bibelwort. Ganz klassisch etwa den Namen Jesu, „Jesus Christus” oder„ Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner”, oder ähnliche. Man betet nur mit diesem einen Wort. Man stößt dieses Wort an und lässt es in sich hineinfallen. Es ist ein Eintreten in eine Armut, die die Wüstenväter und -mütter in der Wüste suchten, um zu beten. Weit weg von ihrer lauten Gesellschaft – die wir ja heute auch kennen.
Die Erfahrung der Wüstenväter war, auf Versuchungen des Teufels wie Jesus mit einem Schriftwort zu antworten. Evagrius nennt das die Widerrede. Daraus ist diese Gebetsweise entstanden. In der Stille sagt man das Gebetswort zunächst leise und dann nur noch innerlich. Dann schweift man möglicherweise ab, es kommen Gedanken, aber wir nehmen den Namen Jesu wieder auf, denn im Namen Jesu ist Heil und der arbeitet in uns. Wir vertrauen darauf, dass wir in diesem Moment wirklich Gott begegnen.
Auch wenn meine Gebetszeit nicht nur aus Ruhegebet besteht – Fürbitte, Dank und Bibellesen, das gehört alles fürs Komplettpaket dazu – für mich ist es das erste. Dazu nehme mir morgens und abends jeweils 20 Minuten, mit Wecker.
Credo: Wieso Armut?
Metzlaff: Weil ich danach eben nicht sagen kann: Schau, ich habe hier einen Rosenkranz „runtergebetet” oder 15 Seiten Bibel gelesen. Ich verzichte auf den Leistungsaspekt. Für mich ist es schön, einfach vor Gott zu sein und in seiner Gegenwart nichts leisten zu müssen. Gott ist da, ich bin da. Ich schenke ihm die Zeit und weiss, er wird sie schon nutzen. Es ist eine Demutshaltung.
Credo: Du sprachst von Christusbegegnung. Wie erlebst du diese Christusbegegnung?
Metzlaff: Es die schönste Beziehung, der schönste Raum, in dem man sein kann. Christus ist einfach die, wie soll ich sagen, die schönste, größte, umwerfendste Person, die ich kenne. So unglaublich vieldimensional, so überwältigend und zugleich einfühlsam, dass ich kaum Worte finde, um diese Begegnung, diese Momente, die Christus schenkt und was das Aufblitzen dieser Person auslöst und für einen Reichtum schenkt, zu beschreiben. Das finde ich das Größte.
Das ist aber nichts, was man machen kann. Das Gefühl, dass nichts passiert, kann und wird es auch geben. Man nennt das Wüste. Aber auch das ist gut. Das zu wissen ist besonders hilfreich für Leute, die in schwierigen Situationen sind, die auf eine Gebetsantwort warten. Gerade im Schmerz ist dieses Erlebnis am eindringlichsten, dass jemand mit da ist, auch wenn ich es nicht spüre. Das ist genau die Gebetserfahrung, die große Mystiker gehabt haben.
Auch das sind Früchte, wenn du nicht raus gehst und zornig bist, sondern mit einer Art von Trost herauskommst oder einem Mehr an Frieden. Mir hilft das sehr. Und das ist deutlich wichtiger als der Eindruck, Gott habe mir dies und jenes gesagt. Auch wenn es das geben kann, wie viele Heiligengeschichten bezeugen. Wichtig ist die Treue im Gebet. Weder soll man sich übermäßig freuen, wenn die Gebetszeit Bombe war, noch soll man in Trauer versinken, wenn man nichts gespürt hast. Das Wesentliche beim Gebet ist die Treue. Wie im Sport oder in der Musik geht es darum, beständig dran zu bleiben.
Credo: Was sind für dich „Früchte” des Ruhegebetes?
Metzlaff: Die erste und wichtigste Frucht ist für mich, einen Geschmack zu bekommen und zu erhalten an Christus, an den Sakramente. Das andere ist, gegenüber anderen Menschen aus größerer innerer Freiheit und innerem Frieden handeln zu können. Ich erlebe, dass mich bestimmte Dinge weniger aufregen oder treffen. Aber klar, der ist auch tagesformabhängig.
Credo: Gibt es ein Alter, ab dem man das Ruhegebet beten kann, sollte oder will?
Metzlaff: Zum einen verbietet Cassian es jungen Menschen sogar, wegen der Gefahr in irgendwelche Sphären abzudriften und nur noch still zu sein. Er empfiehlt es nur Erfahreneren. Stille macht ja etwas.
Abgesehen davon ist es natürlich ganz individuell. Manchen sagt es vom Temperament her zu, anderen nicht. Man sollte sich auf keinen Fall zu etwas zwingen, sondern Übungen individuell und unter Anleitung eines geistlichen Begleiters dosieren, weil die Gefahr der Übertreibung gerade in jungen Jahren groß ist. Geistliche Begleiter und Begleiterinnen sind übrigens eine riesige Hilfe, weil man alles – anders als hier im Podcast – ganz individuell besprechen kann.