Vor Ort · Hauptvortrag Jugendwerkwoche 2024
Grenzt Behinderung aus der kirchlichen Jugendarbeit aus?
von Raphael Schadt · 07.02.2024
Beim Vortrag des Hauptreferenten Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, Caritasdirektor aus dem Bistum Erfurt, ging es um inklusive Pastoral, also der Frage, wie Menschen mit verschiedensten Behinderungen in das kirchliche Leben einbezogen werden können. „Was die Zukunft der Pastoral für Menschen mit Behinderung bringt, dafür müsste man Prophet sein. Ich bin aber nur ein Seelsorger, der heute versucht die Situation von Menschen mit Behinderungen zu erfassen […] und nach Menschen Ausschau hält, die eine solche Seelsorge leisten können.”, sagte er mit seinem trockenen Erfurter Humor.
Ein eingangs gezeigter Video-Beitrag illustrierte sein Anliegen: Darin wurde ein Behinderten-Förderprojekt in einem Armenviertel von Lima in Peru dargestellt. Es wurde gezeigt, wie Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unterstützt werden, um menschenwürdig am sozialen Leben bzw. am Arbeitsleben teilzuhaben.
Schlüsselproblem Sinnfrage
Doch bei allem, was es an wertvollen und dringend notwendigen Hilfen für Behinderte gibt und braucht, sei das Schlüsselproblem in der Inklusionspastoral das Sinnfindungsproblem: Denn die Frage nach dem Warum der Behinderung stellt sich unweigerlich und es gilt, mit dieser schweren Frage umgehen zu lernen.
Weihbischof Hauke zitierte dazu aus einem Zeugnis von Guillermo Juez, einem spanischen Priester, Biologen und Philosophen, der nach einem Verkehrsunfall in den 80er Jahren eine Querschnittslähmung erleidet. Als dieser nach dem Unfall aus der Klinik kommt, erhält er viel praktische und rechtliche Hilfe. Dabei sei aber sein eigentliches Problem unberührt geblieben: Nämlich die Frage danach, was die Behinderung für ihn bedeuten könne.
Der Sinn von Krankheit
Eine mögliche Antwort darauf wäre laut Hauke: „Jesus Christus, der Sohn Gottes, hat durch seinen Tod am Kreuz die ganze Menschheit erlöst und so dem Schmerz Sinn und Wert verliehen. Wenn wir also an unserem Kreuz hängen, wenn wir leiden, dann können wir christusförmiger und daher noch mehr Kind Gottes und von Gott Vater geliebt sein. Wir sind glücklicher und auch wirksamer, weil wir bei der Erlösung der Welt mithelfen.” Wenn der Rollstuhl und alles, was er mit sich bringt, helfe, christusförmiger, wirksamer und mehr von Gott geliebt zu sein, dann habe die Krankheit einen Sinn. So könne Guillermo Juez Gott sogar danken, im Rollstuhl zu sitzen.
Eine Behinderung bilde die Möglichkeit, eine Reihe von Tugenden zu erwerben, die wir auf andere Art nicht erworben hätten: Geduld, übernatürliche Sicht, Opferbereitschaft, Dankbarkeit für Hilfen, Demut, Ausdauer usw. Und auch – das ist nicht wenig –, von den eigenen Fehlern gereinigt zu werden und Verdienste für den Himmel zu erwerben.
Das persönliche Zeugnis von Menschen mit Behinderung
Freilich kann nur jemand eine derartige Deutung des Leidens formulieren, der oder die es selbst erlebt und erleidet, so der Weihbischof. Das entspreche auch dem Grundsatz der UN-Behindertenrechtskommission: „Nicht ohne uns über uns!”. Und der gelte auch für die pastorale Arbeit: „Wenn wir Menschen mit Behinderung den Raum geben, selbst Zeugnis von ihrem Leben und ihrem Glauben abzugeben zu können, verändert das die Sicht aller beteiligten und die Sicht auf die Behinderung.“
Auch wenn nicht jeder seine Beeinträchtigung als sinnstiftend wird erleben können. Aber es macht deutlich, dass Menschen mit Behinderung selbst etwas zu sagen haben und mitunter Tugenden entwickeln, die Menschen ohne Behinderungen oft beeinträchtigen, wie etwa Undankbarkeit oder Egoismus.
Erfahrungswerte
Beim anschließenden von Gina Gänsler moderierten Podiumsgespräch wurden noch weitere wertvolle Punkte herausgearbeitet. Die Gäste waren neben Weihbischof Dr. Hauke, Dr. Kristina Roth, Leiterin der Abteilung Schule & Religionsunterricht und Stabsstelle schulische Inklusion, Andreas Ihm, Referent für Polizeiseelsorge und queere Pastoral und Anette Michalski, Pastoralreferentin in der Klinikseelsorge und Stiftung Hessing. Sie tauschten Erfahrungswerte aus wie etwa die Notwendigkeit, bei Veranstaltungsankündigungen beeinträchtigte Gruppen explizit anzusprechen, wenn sie mit eingeladen sind. Es sei wichtig, gut vorzubereiten und zu durchdenken, was wer an Barrierefreiheit benötige. Auch gehe es darum, sensibilisiert dafür zu sein, dass Geschwister von Jugendlichen mit Beeinträchtigungen nicht automatisch deren Betreuung übernehmen wollen.
Am Ende des Vormittags waren die Teilnehmer um einige Eindrücke aus der Arbeit des Weihbischofs reicher. Allerdings bedauerten auch einige der hauptamtlichen pastoralen Mitarbeiter, aus dem Vortrag wenig praktische Impulse für ihre konkrete Arbeit mit Jugendlichen ableiten zu können.
Die Jugendwerwoche 2024
Initiatoren der Jugendwerkwochen sind das Bischöfliche Jugendamt in Kooperation mit dem BDKJ Augsburg. Zentrale Frage der Veranstaltung 2024 war, wie die jugendpastoralen Angebote der Pfarreien, des BJA und der Verbänden so weiterentwickelt werden können, dass sie möglichst für alle jungen Menschen einladend sind. „Alle“ meint dabei Jugendliche mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen, Migrationshintergrund, Unverträglichkeiten oder mit homosexuellem Empfinden. Also all diejenigen, die sich von kirchlichen Angeboten nicht von vornherein angesprochen oder gar ausgegrenzt fühlen. Zu diesen Fragen wurden nach dem Vortrag 14 verschiedene Workshops angeboten.